Amnion 2: Verbotenes Wissen
seine Vehemenz war schon verpufft; so plötzlich verflogen, wie sie vorher auftrat. »Die VMKP ist die korrupteste Organisation, die es überhaupt gibt. Im Vergleich mit ihr präsentiert sich Piraterie als die reinste Menschenfreundlichkeit.«
Während Morn ihn anstarrte, kehrte er steifgliedrig zurück an seinen Platz. Wieder setzte er sich Morn gegenüber an den Tisch, stellte den Becher vor sich ab, lächelte so friedlich-freundlich wie ein Mensch, der von Wut nicht einmal eine Ahnung hatte. »Ich will dir mal ’ne Geschichte erzählen.«
Insgeheim beträchtlich erschüttert, nickte Morn. Schon der bloße Gedanke an eine Beteiligung der VMKP an dem zu Angus’ Verhaftung geschmiedeten Komplott hatte sie schockiert; aber von der Anwendung einer List, um einen Raumpiraten dingfest zu machen, bis zur ›korruptesten Organisation, die es überhaupt gibt‹, war es noch ein langer Weg. Falls diese Behauptung der Wahrheit entsprach, entwertete sie die Motive, aus denen Morn sich für den Werdegang einer Polizistin entschieden hatte, zu Lügen. Sie beschmutzte das Ansehen ihres Vaters, den sie für den unbestechlichsten Menschen hielt, den sie je gekannt hatte; schmälerte den Tod ihrer Mutter zu einem dümmlichen, bedauernswerten Vorfall. Sollte es sich um die Wahrheit handeln…
Sie lauschte Vector Shaheed, als wäre – wenigstens für den Augenblick – keine andere Frage oder Überlegung zu berücksichtigen.
»Dir ist vielleicht nicht klar«, sagte er gleichmütig, »daß Piraterie für einen Mann wie mich ’n eher abseitiger Erwerb ist. Ich bin kein gewalttätiger Mensch. Genausowenig bin ich ’n Rebell. Eigentlich eigne ich mich nicht einmal zum Dieb. Tatsache ist, ich bin nicht mal ’n allzu guter Techniker. Hättest du Zeit gehabt, um über diesen Sachverhalt nachzudenken, würdest du dich bestimmt fragen, was ich hier mache. Ich will’s dir verraten. Von der Ausbildung her bin ich Genetiker, kein Techniker. Technische Kenntnisse habe ich erst später erworben, nachdem ich beschlossen hatte, die Sparte zu wechseln. Davor habe ich für Intertech gearbeitet. In der Genetik. Dort habe ich übrigens Orn kennengelernt. Er war der Computerexperte unseres Ressorts. Er hatte schon damals ’ne Unfallneigung, und manche seiner chirurgischen Rekonstruktionen sind weniger erfolgreich als andere verlaufen, aber er war allemal, muß ich sagen, in besserer Verfassung als heute. Erst habe ich wenig von ihm gehalten. Er war… zu skrupellos für meinen Geschmack. Er fickt ’ne Schlange, wenn sie’s Maul weit genug aufmacht, haben wir gewitzelt. Aber mit Computern war er ’n Wunderknabe, in dieser Beziehung konnten wir uns hundertprozentig auf ihn verlassen… Auf jeden Fall, ich bin also als Genetiker tätig gewesen, und sobald sich herausstellte, daß ich meine Arbeit richtig gut verstand, hat man mich für ein wirklich hochwichtiges Forschungsprojekt eingespannt. Die Sorte von Forschung, bei der die Lücken zwischen den Zähnen und der Darminhalt gecheckt werden, wenn man den Arbeitsplatz verläßt, damit man nichts Geheimes mit nach Hause nimmt. In bezug auf den Werkschutz war Intertech seit jeher empfindlich – wahrscheinlich weißt du über die Ungelegenheiten Bescheid, die sie in früheren Jahren hatte, die Krawalle und so weiter –, und es wurde ständig noch schlimmer.«
Er verstummte, um ein Schlückchen seines Kaffees zu trinken. Vielleicht hätte Morn jetzt das gleiche getan; doch sie konzentrierte sich zu intensiv, als daß ihr die kurze Unterbrechung aufgefallen wäre.
»Aus unserer Sicht, vom Firmenstandpunkt aus also, war das vollauf verständlich. Das Gründungsstatut der Intertech verbietet genetische Manipulation. Das ist dir wohl bekannt.« Morn nickte. »Das Verbot gilt ja universell. Sogar im Firmenstatut der Vereinigten Montan-Kombinate steht es. Wäre die Tätigkeit, die wir in unserem Ressort ausübten, bei irgend jemandem unter den falschen Gesichtspunkten betrachtet worden, hätte das die Liquidierung der Intertech zur Folge haben können. Wir haben daran gearbeitet, ein Mittel« – er sprach die Enthüllung aus, als wäre ihr keine größere Bedeutung beizumessen – »gegen genetische Kriegführung zu entwickeln. Einen Impfstoff gegen RNS-Mutation.«
Betroffenheit verengte Morn die Kehle; fast stockte ihr der Atem. Einen Impfstoff gegen RNS-Mutation. Sie mochte nur VMKP-Leutnantin sein, doch keinem Menschen, der in der Raumfahrt zu tun hatte, konnte die Tragweite eines solchen
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