Amnion 2: Verbotenes Wissen
Absicht, ihn abzutreiben. Oder nicht? Früher oder später, sobald sich ihr die Zeit und Ruhe boten, um das nächste Mal das Krankenrevier aufzusuchen. Oder etwa nicht? Der Klumpen aus Chemikalien und Bosheit in ihrem Leib bedeutete lediglich eine zusätzliche Folgeerscheinung der Vergewaltigungen. Genau wie Vergewaltigung verstieß er gegen ihr Anrecht, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Je früher sie sich seiner entledigte, um so besser.
So sah die Wahrheit aus. Es war die Wahrheit, verdammt noch einmal.
Aber wenn es sich um die Wahrheit handelte, was sollte sie dann von der Tatsache halten, daß sie für ihr Kind schon einen Namen ausgewählt hatte?
Ohne sich dessen bewußt zu sein, als wäre es hinter ihrem Rücken geschehen, hatte sie beschlossen, ihren Sohn Davies Hyland zu nennen. Nach ihrem Vater.
Shit!
Am liebsten hätte sie aus Bitterkeit und Kummer wieder geweint. Mit einem Ruck setzte sie sich auf, schwang die Beine aus der Koje, um sich mit ihrem Elend im Stehen zu beschäftigen. Sofort fing sie hin- und herzustapfen an, als wäre sie eine eingesperrte Gefangene. Konnte sie denn wirklich derartig heruntergekommen, so degradiert, dermaßen irregeleitet sein, daß sie daran dachte, den Sproß aus Angus Thermopyles Haß zu behalten? Hatte ihr Selbstwertgefühl einen solchen Tiefstand erreicht, daß sie wahrhaftig dazu neigte, Angus’ Samen der Verderbtheit Platz in ihrem eigenen Bauch zu gewähren, damit er wuchs und gedieh?
Nein! Natürlich nicht. Natürlich nicht. Sie faßte den Vorsatz, die Abtreibung hinter sich zu bringen, sobald Nicks Lust sich erneut erschöpft hatte und er schlief.
Und tat sie es, dann würde sie allein sein: so allein, wie sie es gewesen war, als sie ihre Familie ausgerottet hatte; genauso allein, wie sie es bei Angus gewesen war, wenn er sich am übelsten benommen hatte. Der kleine Wurm aus Protoplasma, der in ihrem Innern seinen langen Weg antrat, um sich bis zur Abnabelung durchzufressen, war alles, was ihr geblieben war; tötete sie auch ihn, vollendete sie dadurch ihre Verwaisung.
Das Kind war ein Junge, ein Mensch. Enkel ihres Vaters. Und er gab ihr einen Grund zu leben. Einen Grund, der nicht mit Wut oder Haß zusammenhing; auch nicht mit der Frage, ob die VMKP eine so verworfene Institution war, wie Vector sie glauben machen wollte, oder nicht. Ein Faktum, das der Lektion widersprach, die zu lehren Angus keine Mühe gescheut hatte: daß sie es verdiente, für immer völlig allein und wehrlos zu sein, nur noch durch die neuralen Kunstgriffe des Z-Implantats sowie die eigene, beharrliche Leidensfähigkeit aufrechtgehalten zu werden.
Behielte sie Davies, wäre sie nicht mehr allein. Sie hätte wieder Familie; einen Menschen, der zu ihr gehörte…
Einen Menschen, der etwas Besseres verdiente, als durch eine Explosion zu sterben, nur weil sie, Morn, nicht zwischen geistiger Gesundheit und Selbstvernichtung unterscheiden konnte. Oder die Abfallkloake des Krankenreviers hinuntergespült zu werden, bloß weil sie sich nicht den Gefahren stellen mochte, mit denen es sie konfrontierte, sein Weiterleben zu sichern, gleichgültig wer sein Vater war, ganz gleich, was für ein finsteres Erbe ihm seine Vorfahren hinterließen.
Morn hatte einmal, zu der Zeit, als sie noch wirklich das Selbstverständnis einer Polizistin hegte, sie keine Zweifel an der Ehrbarkeit der VMKP kannte, so etwas geglaubt. Und vielleicht glaubte ein Teil ihres Gemüts es noch heute.
Das Kind zu behalten, wäre eine Kapitulation vor Angus Thermopyle.
Aber sie hatte schon vor ihm kapituliert, als sie sein Leben gegen das Kontrollgerät des Z-Implantats tauschte. Sie hatte es vorgezogen, daß die an ihr verübten Verbrechen ungestraft blieben, anstatt ohne die Unterstützung des schwarzen Kästchens den Konsequenzen dieser Untaten entgegenzublicken. Die Frage, wie heruntergekommen, degradiert oder abgeirrt sie sein mochte, war längst beantwortet. Der einzige noch offene Sachverhalt stellte sich gleichzeitig einfacher und schlechter abschätzbar dar.
Der Fötus bedrohte ihr Überleben an Bord der Käptens Liebchen, minderte womöglich ihren Wert für Nick. Wieviel bedeutete ihr das Überleben?
Wirklich soviel, daß sie das Töten fortsetzte?
Wieviel Einsamkeit konnte sie ertragen?
Als eingesperrte Gefangene ihrer Vergangenheit, im Stich gelassen von allem Seelenfrieden, ging Morn in ihrer Kabine auf und ab, als wüßte sie nicht, wohin sie sich wenden sollte, ballte die Hände zu Fäusten,
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