Amnion 2: Verbotenes Wissen
Schwellungen umringten Narben glänzten so hellrot, als hätte er Blutgeschmier im Gesicht.
Zum drittenmal schüttelte Morn den Kopf.
Die Gefahr war Realität; soviel Einsicht hatte sie. Morn verstand vollkommen, was für einen Alptraum es bedeutete, auf einem Blindflug durch den endlosen Schlund der Galaxis zu sein. Aber es ließ sie kalt. Solange die Position des Raumschiffs bestimmt, die andauernde Kurskorrektur der Käptens Liebchen ins Verhältnis zum Ziel gesetzt werden konnte, war sie nicht zum Untergang verurteilt. Keiner von ihnen war verloren.
Irgend jemand mußte sie angesprochen haben. Falls ja, hatte sie es nicht bemerkt; ihre konzentrierte Aufmerksamkeit galt anderem. Aber einen Moment später fiel ihr auf, daß die gesamte Brückencrew sie anstarrte.
Mackern bebten die Lippen. Mikka und Carmel starrten Morn mißtrauisch an. Lind quollen schier die Augen aus den Höhlen, sein Adamsapfel ruckte wie ein Motorkolben auf und ab. Malda Verone hielt mit beiden Händen ihr nach hinten gestrichenes Haar fest, als meisterte sie damit ihre Furcht. Infolge der Weise, wie der Steueranlagen-Hauptoperator Morn anblickte, sah er aus, als hätte er das eigene Kinn verschluckt.
»Warum nicht, habe ich gefragt«, wiederholte Nick. Morns Versonnenheit stieß bei ihm auf keinerlei Geduld. »Mackern und Lind behaupten ständig, wir seien erledigt. Aber du schüttelst immer nur den Kopf.« In seiner Stimme schwang offen der Wille zur Nötigung mit. »Warum sind wir deiner Meinung nach nicht verloren, will ich wissen.«
Morn unternahm eine bewußte Anstrengung, um aus dem Reich der Gelassenheit und Sorglosigkeit, in das ihre Entscheidung über den Tod sie entrückt hatte, in die Gegebenheiten der Wirklichkeit zurückzukehren. »Verzeihung.« Ihre Stimme klang, wie sich ihr Kopf anfühlte: nach Leichtigkeit und Abgehobenheit.
»Ich dachte, der Fall wäre euch klar. Ihr habt ja selber ständig darüber geredet, daß ich von der VMKP bin. Ich habe gedacht, ich bräuchte euch nichts zu erklären.«
Mühsam bezähmte Nick seine Verärgerung. »Was nicht zu erklären?«
»Von Computerviren verstehe ich auch nichts. Ich kann nicht beheben, was Vorbuld angestellt hat. Aber ihr braucht wegen der Löschung nicht zu verzweifeln. Es ist nicht alles verloren. Nicht die Daten sind das Problem, sondern die Funktion. Sichten könnt ihr ja alles, was ihr wollt. Das Virus hindert euch nicht daran, Daten zu lesen. Ihr könnt bloß keine Funktionen mehr veranlassen, ohne daß ’n Absturz der Systeme auftritt. Vielleicht ist es sogar unmöglich, die Kurskorrektur zu beenden, ohne die Steuerungsdaten zu löschen.«
»Morn…«, begann Nick; er stand kurz vor der Tollwut.
»Haben Sie nicht alle beisammen?« unterbrach ihn Mikka, fuhr Morn regelrecht an. »Sicher sind die Programmfunktionen in den integrierten Schaltungen festgespeichert. Aber die Daten sind doch jetzt weg.«
Abermals schüttelte Morn den Kopf. »Nein, sind sie nicht.«
Für die Dauer eines Herzschlags starrten alle sie an; für zwei, drei Herzschläge.
Dann glitt ein Ausdruck des Begreifens, als bräche er in Frohlocken aus, über Nicks Gesicht. »Weil du von der VMKP bist.«
Morn drehte sich ihm direkt zu. »Ich habe Zugriff auf euren Data-Nukleus.« Ihre Abhilfe wäre vorübergehender Art; aber bewähren konnte sie sich. »Die Gesamtheit aller Daten, die ihr je gehabt habt, jedes bißchen, ist dort als Kopie gespeichert. Data-Nuklei kopieren Borddaten automatisch und fortlaufend. Und in Permanentspeicherung. Die kopierten Daten können weder gelöscht noch abgeändert werden. Ich kann für euch auf die Kopien zugreifen. Ich habe ja meine Id-Plakette. Die Codes sind mir bekannt. Ich kann alles in eure Computer zurückkopieren. Kann sein, es beansprucht ein, zwei Tage« – der insgesamte Umfang der im Data-Nukleus gespeicherten Informationen lief wahrscheinlich auf Tausende von Gigabyte hinaus –, »aber ihr könnt alles wieder dort installieren, wo’s vor ein paar Minuten noch gewesen ist.«
»Das ist ja ’n Ding«, brummelte der Steueranlagen-Hauptoperator wie in aufrichtiger Ehrfurcht.
Nicks Augen leuchteten Morn in ehrlicher Freude an.
»Einen Moment mal«, sagte Mikka. »Moment mal.« Dem Klang ihrer Stimme nach hätte sie einen Boxhieb ins Zwerchfell erhalten haben können. »Und was ist mit dem Virus?«
Morn hob die Schultern, ohne die Augen von Nick zu wenden. »Nach meiner Vermutung ist er ebenfalls im Data-Nukleus gespeichert.« Sie war sich der
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