Amnion 4: Chaos und Ordnung
zurückhaltendem Ton. »Dir Shuttle steht bereit.«
Erschrocken verlagerte Warden seine Aufmerksamkeit auf den Wächter. Fast sofort gab seine Augenprothese ihm wenigstens einen kleinen Grund zur Beruhigung. Die Aura des Mannes zeigte Ungeduld, Langeweile und Müdigkeit an, dagegen keine Anzeichen außergewöhnlicher Stressbelastung oder Anspannung. Also hatte der Betriebsschutz keinen Hinterhalt vorbereitet; Fasner hatte sich nicht dagegen entschieden, Warden ins VMKP-HQ umkehren zu lassen. Zweifellos mochte er Dios die Bürde, Angus Thermopyle und Morn Hyland zu verraten, nicht ersparen.
»Ich komme«, sagte er zu dem Wächter.
Im Randbereich von Norna Fasners Blickfeld blieb er stehen und deutete eine Verbeugung an. »Danke«, murmelte er leise. »Ich tu, was ich kann.«
Ihre Abschiedsbemerkung nannte seinen insgeheimen Kummer, seine Unzulänglichkeit, beim Namen, verfolgte ihn beim Verlassen des Pflegezimmers wie eine Schar Furien.
»Das ist zuwenig, Warden Dios.«
Die Wächter, unwillkürlich neugierig – oder womöglich nur vorsichtig –, warfen ihm stumme Blicke der Verwunderung zu. Das ist zuwenig, Warden Dios. Er erübrigte für sie nur ein Achselzucken und einen unpersönlich finsteren Gesichtsausdruck.
Keiner von beiden sprach ihn darauf an. Schließlich war er der VMKP-Polizeipräsident. Und offenbar hatten sie keine Weisung, ihn für irgend etwas zur Rede zu stellen. Statt dessen führten sie ihn lediglich auftragsgemäß zurück zum Shuttle, ließen ihm seine Scham für sich ganz allein.
Er wußte so genau wie Norna, daß es zuwenig wäre, nur zu tun, was er tun konnte. Nur fiel ihm nichts Besseres ein.
Während des Rückflugs zum VMKP-HQ zermarterte er sich pausenlos das Hirn nach irgendeiner Inspiration, so daß er zuletzt hochgradig schlechte Laune hatte. Holt Fasners Befehl erbitterte ihn aufs ärgste; er fraß an seinem wehen Herzen, als wäre ihm pure Säure injiziert worden. Wäre er die Sorte Mensch gewesen, die sich bei Ekel leicht übergab, hätte er am laufenden Band gekotzt, als wäre es möglich, sich auf diese Weise seiner Verzweiflung zu entledigen.
Angus Thermopyle und Morn Hyland waren gewissermaßen Kinder seiner heftigsten Leidenschaft und gleichzeitig seiner tiefsten Drangsal. Wenn es sein mußte, konnte er Vector Shaheed und Succorsos übrige Besatzungsmitglieder opfern; er konnte die Posaune entbehren und Nick Succorso seiner Wege ziehen lassen; er hatte schon Schlimmeres verbrochen. Davies Hyland käme mit dem Leben davon, und Warden durfte zumindest hoffen, daß sich irgend etwas ereignete, das dem Jungen die Verwirklichung von Holt Fasners Absichten zu vermeiden half. Aber Succorso die Macht über Morn Hyland und Angus Thermopyle zu geben, sie nach allem, was sie in Warden Dios’ Namen schon durchlitten hatten, der Erniedrigung und dem Tod auszuliefern…
Das war schlicht und einfach zu wenig.
Warden schäumte innerlich vor Erbitterung, während das Shuttle sich der Stationsreede näherte, und befahl der Crew, Hashi Lebwohl, dem DA-Direktor, eine Blitzmeldung mit der Anweisung zuzuleiten, sich in zehn Minuten mit ihm in einem seiner Hochsicherheitsbüros zu treffen. Für Angus Thermopyle und Morn Hyland mochte er zuwenig getan haben, aber aus Lebwohl die Wahrheit herauszuholen, dazu war er bei Gott noch fähig. Es erforderte alle Duldsamkeit, ja sogar mehr, um die zerrüttungsträchtigen Konflikte in seinem eigenen Schädel zu ertragen: für Hashi Lebwohls krumme Touren konnte er keinerlei Toleranz erübrigen.
Sämtliche Anzeichen sprachen dafür, daß Lebwohl hinter Wardens Rücken Fäden zog, unabhängig vom VMKP-Polizeipräsidenten mit eigenmächtigen Entschlüssen auf die Ereignisse einwirkte. Das konnte man als Amtsvergehen bezeichnen; sogar als Verrat. Andererseits agierte Lebwohl anscheinend nicht im Auftrag des Drachen. Zum guten oder schlechten Ausgang trieb er das Spielchen für sich allein. Eine halbe Stunde blieb Warden noch, bis sich das Funkfenster zum nächsten günstigsten Lauschposten ergab. Solange durfte er warten, bis er seine Nachricht an Min Donner verschlüsselte und absandte; bevor er den eigenen Verrat unwiderruflich machte. Doch bis dahin gedachte er zu erfahren, wieviel Schaden Hashi Lebwohl angerichtet hatte.
Es entsprach der Natur der Sache und war daher unvermeidlich, daß der Lauschposten den VMK gehörte: ein Bestandteil des auf Veranlassung Holt Fasners geschaffenen, weithin ausgedehnten Kommunikationsnetzes. Im Laufe von
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