Amnion 4: Chaos und Ordnung
planen, hätte er mir nicht mitgeteilt, wann wir’s erreichen. Ich glaube, im ganzen Human-Kosmos gibt’s von Massif 5 keine komplette Karte, aber selbst die uns greifbaren Karten wären nutzlos, wüßten wir nicht den Zeitpunkt. Die Koordinaten der zwölf Planeten und des Valdor-Industriezentrums können wir ungefähr schätzen, aber ohne Zeitangabe ließe sich nicht vorausberechnen, wo auf ihren Umlaufbahnen sich gerade die fünfundzwanzig bis dreißig größten Planetoiden, die Kometen und Asteroidenschwärme befinden. Laut Angus’ Auskunft sind wir in…« – sie las die Anzeigen ab –, »in neun Stunden dreißig Minuten dort. Während der ersten fünfzehn bis zwanzig Stunden habe ich auch gedacht, es sei doch Verrücktheit, sich so langsam ranzupirschen. Inzwischen erkenne ich allerdings wenigstens einen Vorteil. Ein paar Hundert unerfaßte Asteroiden und ein, zwei Singularitäten mal außer acht gelassen, gelangen wir in neun Stunden auf eine relativ freie Einflugschneise ins System. Wir sind nicht gezwungen, sofort irgendwelchen Felsklötzen oder stärkeren Schwerkraftquellen auszuweichen. Danach…« Sie zuckte die Achseln. »Danach wird’s natürlich trotzdem schwierig.«
Alle außer Vector musterten sie, während sie die Verhältnisse schilderte, ließen sich von ihr erklären, was sie längst wußten, als könnte es ihnen, es aus ihrem Mund noch einmal zu hören, dabei helfen, sich darauf besser einzustellen; als eignete es sich, um ihre Befürchtungen zu zerstreuen.
»Massif 5 ist ein Doppelsonnensystem«, konstatierte Mikka sachlich. »Soviel stellare Masse hat eine gewaltige Menge von Felsen und Gesteinsschutt angezogen. Es sind zwölf große Planeten vorhanden, alle auf verschiedenen Umlaufebenen. Einige kreisen mit echt erstaunlichen Geschwindigkeiten in Schleifen um beide Gestirne, andere nur um den einen oder um den anderen Stern, und ein paar wandern um die gesamte Gravitationsquelle. Alle Planeten haben Monde, manche bis zu dreißig Stück, und vier sind von Ringen umgeben. Außerdem gibt’s in allen Richtungen Asteroidenschwärme, regelrecht wie ein Schrapnellhagel. Möglicherweise hat’s mehrere Hundert Planetoiden, von denen manche wirklich Wahnsinnskreisbahnen um die zwei Sonnen und mehrere Planeten beschreiben. Neun Kometen sind verzeichnet, und einige von ihnen sind verdammt riesig. Und zudem sind die Trümmer vorhanden, alles mögliche, von faustgroßen Steinen, die mit zwanzig bis dreißig Prozent c umherrasen, bis hin zu treibenden Raumschiffswracks.«
Angus knurrte vor sich hin, während er die Problematik durchdachte. Im Hinblick auf sein Vermögen, durch das System zu navigieren, machte er sich keine Sorgen – er konnte es bestimmt besser als jeder andere –, nur war ihm die Aussicht zuwider, das Schiff aus Sicherheitserwägungen langsam hindurchsteuern zu müssen.
»Das alles stellt uns sowieso schon vor enorme Anforderungen«, erklärte Mikka, »aber es kommen noch zusätzliche Schwierigkeiten auf uns zu. Offenbar entstehen in Doppelsternsystemen durch die besonderen Schwerkraftbedingungen leicht Singularitäten. Gut ist, daß man im Valdor-System nur fünf entdeckt hat. Bis jetzt. Schlecht ist, daß sie instabile Umlaufbahnen haben, und zudem soviel Anziehungskraft, daß sie die benachbarten Kreisbahnen verzerren. Das bedeutet« – ihre Stimme klang zunehmend grimmiger –, »jede beliebige Information in unseren Datenbanken kann praktisch jederzeit ungültig werden. Mit anderen Worten, das ganze Sonnensystem ist ein regelrechter Alptraum.«
Sie wußte, wovon sie sprach. Sie und Ciro waren im Kosmo-Industriezentrum Valdor geboren. »Aber gleichzeitig ist es natürlich eine wahre Schatzkammer.« Nochmals hob sie die Schulter. »Darum hat Valdor sich ja dort eingenistet. Massif 5 bietet Rohstoffe aller Art in einem Maßstab, den man sich gar nicht vorstellen kann. Inzwischen hat’s allerdings noch ’n Grund. Das KIV ist im Human-Kosmos zur hauptsächlichen Forschungsstätte für die Untersuchung von Singularitäten geworden. Man sucht nach einer Methode, um soviel geballte Energie zu nutzen.«
Dir Ton wurde immer härter. »Und das ist gleichzeitig die Ursache, weshalb es dort mehr Raumpiraten und illegale Einrichtungen als im gesamten übrigen Human-Kosmos zusammengenommen gibt.« Mit lässiger Leichtigkeit tippte sie Befehle in ihre Konsole und projizierte eine dreidimensionale Darstellung des Valdor-Systems auf eine Mattscheibe. »Da ist unser Ziel.« Mehrmaliges
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