Amnion 4: Chaos und Ordnung
Tastendrücken brachte eine kleine Ansammlung bernsteingelber Pünktchen, etwa ein Drittel des Durchmessers vom Rand des Systems entfernt, zum Blinken. »Wie ihr seht, liegt es nicht gerade in der Nähe unserer Einflugroute. Dort befindet sich ein Asteroidenschwarm, der zu wenig Massenträgheit aufweist, um sich von der Gravitationsquelle zu lösen. Wenn keine Singularität ihn wegzieht, wird er sich einwärts verlagern und in vielleicht zwanzig Jahren in den Kleinen Massif 5 stürzen. Aber momentan jedenfalls gibt’s mitten darin, rundum geschützt durch mehrere Tausend andere Felsbrocken, einen so großen Asteroiden, daß er glatt ein Mond sein könnte. Dort ist das Laboratorium, das wir aufsuchen wollen.«
Davies hörte aufmerksam zu; ansonsten jedoch hatte sein Betragen die Ähnlichkeit mit Morns Verhalten abgelegt. Ihre Beachtung galt vollauf Mikka; er hingegen schaute wiederholt zu Nick hinüber, um zu beobachten, was er trieb, oder Angus an, um zu sehen, wie er Mikkas Äußerungen aufnahm. Angus vermutete, daß er, seit er an Bord gekommen war, wenig geschlafen hatte; es schien, als wäre seine Körpertemperatur zu hoch, um Ruhe finden zu können. Er hatte Morns Zonenimplantat-Kontrollgerät in seinem Besitz: bei jeder Hyperspatium-Durchquerung schaltete er sie gewissermaßen ein und aus. Doch was tat er, während sie hilflos im Schlummer lag?
Zwanghaft malte Angus sich aus, was Davies mit dieser Macht anfangen könnte; was er, Angus, an der Stelle seines Sohns täte.
Bei seinen Phantasien schwindelte ihm vor lüsterner Begierde.
Verlangen und Enttäuschung. Es hatte sich schon gezeigt, daß er nicht die Fähigkeit hatte, mit Morn fertig zu werden; daß alle seine Bemühungen, sie zu erniedrigen, sie niederzuzwingen, nichts anderes als vergebliche Versuche gewesen waren, dem Kinderbett zu entfliehen. Sein Lebtag lang hatte er in diesem Ringen gestanden und es nie geschafft, sich zu befreien.
Er bekam kaum mit, daß Davies eine Frage an Mikka richtete. »Bist du dort schon einmal gewesen?«
Mikka schüttelte den Kopf. »Ich kenne bloß die üblichen Gerüchte, das Geschwätz… Die Sorte Geschichten, die unweigerlich in Sonnensystemen kursieren, in denen es von Illegalen wimmelt. Nick hat mal behauptet, er hätte es besucht. Falls das stimmt, hat er mir nie Näheres erzählt.«
Nick winkte geringschätzig ab; seine Geste erregte keine Beachtung.
»Die Leute, die darüber reden«, sagte Mikka, »nennen keinen Namen. Man spricht nur vom ›Labor‹, aber es dürfte eher die Größe eines richtigen Forschungsinstituts haben. Ob die Astro-Schnäpper über das Labor Bescheid wissen, habe ich keine Ahnung.« Sie wartete nicht auf eine diesbezügliche Einlassung Morns oder Davies’. »Vermutlich ja. Es besteht schon seit fünfundzwanzig Jahren. Aber es ist nie versucht worden, es zu schließen. Hinter den ganzen Felstrümmern, die als Versteck dienen, ist es nahezu unangreifbar. Man muß es langsam anfliegen, und auf diversen Asteroiden sind Materiekanonen eingebunkert. Wahrscheinlich ist es sowieso kein lohnendes Ziel. Es unterhält keine Kontakte zu den Amnion. Es ähnelt mehr diesen medizinischen Laboratorien auf der Erde, die daran arbeiten, reiche Leute schöner zu machen, und zu diesem Zweck an gesetzlich geschützten Tierarten experimentieren, beispielsweise Menschen. Tatsächlich werden dort vielerlei medizinische Forschungstätigkeiten ausgeübt. Man untersucht die Wirkungsweisen von Zonenimplantaten. Cyborgs werden hergestellt. Das Labor hat jede Menge BR-Chirurgie erfunden. Und die Techniken, dank der Menschen Selbstverstümmelung überleben können. Trotzdem ist es kein überwiegend medizinisch orientiertes Laboratorium. Das ist nur ’ne Erwerbsquelle, um die eigentliche Forschung zu finanzieren.«
Cyborgs werden hergestellt, wiederholte Angus in Gedanken, aufgewühlt durch Abscheu. Seine Erbitterung wuchs, ballte sich Stunde um Stunde stärker, ohne daß sich ein Ventil fand. Kein Wunder, daß die Astro-Bullen das ›Labor‹ nicht schlossen: Wahrscheinlich schickten sie selbst ihre eigenen Forscher zum Arbeiten hin, damit sie lernten, wie man die Art von chirurgischen Eingriffen durchführte, die man an ihm vorgenommen hatte.
Mikka atmete tief durch. Dabei verkniff sie die düstere Miene immer mehr, bis ihre Gesichtszüge sich straff an die Umrisse des Schädels zu schmiegen schienen.
»Der Mann, der’s gebaut hat, heißt Deaner Beckmann. Er ist kein gewöhnlicher Illegaler. Geht man nach
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