Amnion 4: Chaos und Ordnung
Losgelöstheit nichts war als Vorspiegelung. Trotzdem sperrte er Succorso nicht ein. Sein Data-Nukleus schloß diese Option aus. Folglich mußte er sich statt dessen auf Sib verlassen; und jeden anderen, der zufällig in der Nähe sein sollte, falls Nick es mit irgendwelchen Sauereien versuchte.
Zwölf Stunden vergingen; dann vierundzwanzig; dreißig. Mikkas und Angus’ Berechnungen deckten sich darin, daß bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit noch rund zehn Flugstunden die Posaune von den Ausläufern des Valdor-Systems trennten. Fünf Minuten nachdem er seine ›Passagiere‹ darüber informiert hatte, daß er vor der nächsten Hyperspatium-Durchquerung eine Stunde lang Normalraumflug beabsichtigte, kamen Morn und Davies auf die Brücke.
Vielleicht war es Zufall, daß sich auch sämtliche übrigen Personen auf der Brücke befanden. Mikka hatte erneut den Sessel des Ersten Offiziers belegt. Nick kreiste trotz Angus’ achtsamer und Mackerns sorgenvoller Aufmerksamkeit um die tandemisierten Kommandokonsolen. Ciro hatte soeben nochmals eine leichte Mahlzeit aus der Kombüse angebracht. Und Vector konzentrierte sich auf die Auxiliarkommandokonsole-Technikkontrollpult-Kombination, als hätte er alle seine menschlichen Schwächen und jedes Ruhebedürfnis vergessen; als wäre die Wahrnehmung seines Bewußtseins zusammengeschrumpft auf seine Hände und den kleinen Bildschirm, hätte es sämtliche Menschen und jede Ablenkung vollkommen ausgegrenzt, verböte es sich selbst den Schlaf. Während er arbeitete, spitzte und entspannte, spitzte und lockerte er den Mund, als sorgte eine Art von innerem Rhythmus für diese Marotte. Angus hatte den Eindruck, daß der Genetiker beim Eingeben von Daten oder Programmeschreiben lautlos durch die Zähne pfiff, dann damit aufhörte, wenn er sich die Resultate besah.
Morn schaute sich auf der Brücke um; sie und Davies nahmen von Ciro Riegel gepreßter Nahrung und Anrigrav-Thermoskannen mit Kaffee entgegen. Mangels Bordrotation konnten sie nirgends stehen. Dank ihrer Ausbildung beherrschte Morn jedoch die Kunst des stationären Schwebens. Offenbar hatte Davies diese Befähigung von ihr geerbt. Nach einem Bissen in den Nahrungsriegel und einem Schluck Kaffee wandte sie sich an Angus.
»Wie kommen wir voran?« Sie sprach in sorgsam neutralem Tonfall. »Wo sind wir?«
Sie sah kaum besser als vor ein, zwei Tagen aus. Noch hatte sie zu wenig Essen und Schlaf gehabt, um sich von ihrer in Mark und Bein gedrungenen Erschöpfung zu erholen. Aber sie litt an keinen Entzugserscheinungen mehr; und die Entlastung von diesen Beschwerden zeigte sich an den kleinen Muskeln rings um ihre Augen, dem Ausdruck ihres Munds und der verminderten Fiebrigkeit ihrer Bewegungen. Zudem hatte sie sich offensichtlich in der Hygienezelle ausgiebig gesäubert: Haut und Haar glänzten von Reinlichkeit. Vielleicht hatte sie sich die Stunden ihrer Gefangenschaft bei den Amnion abzuwaschen versucht. Oder sie hatte sich bemüht, ihren Nerven die Erinnerung an Nicks Berührungen auszubürsten.
Oder an das, was ihr Angus angetan hatte.
Dir bloßer Anblick verursachte Angus solche Magenschmerzen, als würden in seinem Bauch Messer umgedreht.
Anstatt sich zu äußern, projizierte er eine Astrogationsschematik auf einen der Hauptbildschirme, damit Morn sich selbst über die Lage informieren konnte.
Sie betrachtete das Bild, sah Davies an. Beide nickten wie Zwillinge; sie stützten sich beide auf die gleiche Ausbildung und zogen aus der Darstellung die gleichen Schlußfolgerungen.
»Wann treffen wir ein?« erkundigte Morn sich bei Angus.
Er schnitt eine abweisende Miene, aber bewahrte Schweigen. Ich bin hintergangen worden. Ihr seid hintergangen worden. Es muß Schluß sein, ja, aber mit den Verbrechen der verfluchten VMKP nimmt es offenbar kein Ende.
»Angus…«, begann Morn, als wollte sie ihn warnen oder ihm drohen.
Davies schwebte näher an den Kommandosessel.
»Ich weiß nicht, was für ein Problem er hat«, mischte Mikka sich brüsk ein, »aber ich vermute, er wird durch den Schlafentzug allmählich psychotisch.« Nick schnaubte verächtlich, als er das hörte, enthielt sich jedoch jeden Kommentars. »Er beantwortet keine Fragen mehr«, meinte Mikka, wobei sie Nick einen bitterbösen Blick zuwarf, zu Morn. »Aber er hat meiner Konsole Daten zugeleitet.«
Nun widmete außer Morn auch Davies seine Aufmerksamkeit Mikka. »Er mußte es, ich wäre nämlich nicht imstande gewesen, ’n Kurs durch das System zu
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