Amnion 4: Chaos und Ordnung
schweres Gefecht, aber aus irgendeinem Grund hatte ich mehr Schiß als sonst. Der Raumfrachter war nicht beweglich, die Kanonenboote dagegen konnten uns umschwirren wie ’n Mückenschwarm, erst recht, weil wir langsam manövrieren mußten, um im Asteroidengürtel eine Kollision zu vermeiden. Sie griffen von allen Seiten gleichzeitig an, ich konnte überhaupt nicht sämtliche Trajektorien auf einmal auf den Sichtschirmen behalten, von meinem Kopf ganz zu schweigen. Und wegen irgendwelcher Überlegungen, die mir nie so richtig klar geworden sind, hatte der Alte – unser Kapitän bestand darauf, daß wir ihn so nannten, Gott weiß warum – mir verboten, die Zielerfassung und -Verfolgung auf Automatik zu schalten und draufloszuballern. Nein, er wollte die Ziele persönlich aussuchen und sich dafür nach Lust und Laune Zeit lassen. Mehrere Minuten lang habe ich damit gerechnet, den Tod zu finden. Mir schwitzten derart die Hände, daß meine Finger von den Tasten rutschten. Jedesmal wenn der Alte mir ’n Feuerbefehl gab und ich schoß, gab’s nichts mehr, auf was ich hätte schießen können, als Felsklötze und Vakuum. Wenn er sonst nichts zu sagen hatte, zeterte er unaufhörlich herum, und ich wußte, daß er meinetwegen schimpfte…« Dolph schwieg, als wäre er angesichts der Erinnerung in Selbstvergessenheit entglitten. Dann seufzte er. »Und da war’s soweit.«
Er verstummte, als ob er schon die ganze Geschichte beendet hätte.
Wider Willen verspürte Min das Verlangen, den Rest zu hören. Seine Stimme oder die Geschichte zeichnete sich durch die Eigenschaft aus, Zuhörer in den Bann zu ziehen; sie wurde einfach davon in Beschlag genommen. Und nicht nur sie. Min konnte auf den ersten Blick erkennen, daß Ubikwe die Aufmerksamkeit des gesamten Korridors galt. Foster biß sich auf die Lippe, während er abwartete, als wäre ihm die Spannung schwer erträglich.
»Sie kriegten Halluzinationen?« fragte jemand, gedrängt durch das unvermutete Schweigen, schüchtern nach.
Dolph schüttelte den Kopf. »Es kam schlimmer.« Plötzlich verzog sich sein breites Gesicht zu einem Grinsen, das einem Sonnenaufgang glich. »Ich habe mir die Bordmontur vollgeschissen. Und zwar von den Kniekehlen bis zum Hals.«
Aus einem inneren Kern persönlichen Amüsements quoll ihm Fröhlichkeit empor. »Ich war zum größten Fladenfurzer seit Menschengedenken geworden!« Er fing mit Gepruste an, verfiel dann in ein Gelächter, als gäbe er den tollsten Witz seines Lebens zum besten. »Man hätte meinen können, ich wäre ’ne Woche lang nicht auf der Latrine gewesen. Als ich mich endlich ausgeschissen hatte, stank die Brücke, wirklich die komplette Brücke, wie eine verstopfte Abfallverarbeitungsanlage. Unsere Dritte Funkoffizierin mußte tatsächlich kotzen, weil sie den Gestank nicht aushalten konnte.«
Seine Erheiterung steckte an. Mehrere Besatzungsmitglieder lachten gleichfalls schallend, als könnten sie nicht anders. Ein weiteres Dutzend lachte leiser mit.
»Unser Medi-Tech hatte also völlig recht«, erklärte Dolph zum Schluß, als das Gelächter verklang. »Ich war wochenlang deprimiert, verdammt noch mal.« Er schüttelte den Kopf, stieß sich ab und schwebte an den G-Hängematten vorüber, strebte in die Richtung der Kapitänsunterkunft. Unterwegs zuckten ihm die Schultern, als lachte er noch vor sich hin.
Gemeinsam kehrten Min und Foster ins Krankenrevier um und ließen die Tür zurollen.
Der Medi-Tech vermied es, Min anzusehen. »Ist diese Geschichte wahr, Direktorin?« fragte er mit der ratlosen Miene eines Menschen, der nicht sicher war, ob er gerade etwas Angebrachtes erlebt hatte oder nicht.
Min nickte. »Ja. Sein Kapitän hat sie mir vor Jahren erzählt. Inzwischen hatte ich sie völlig vergessen.« Sie schwieg kurz. »Aber so wie sein Kapitän sie wiedergegeben hat«, fügte sie dann hinzu, »war sie nicht lustig.«
»Wäre sie unwahr«, äußerte Foster gedämpft – hörte sich dabei klüger an, als sein Alter nahelegte –, »hätte sie nicht gewirkt.« Danach kehrte er an seine Konsole und die Monitoren zurück.
Eine Stunde später, während einer neuen Durchquerung freien Raums, rief der Kapitänhauptmann Min in ihrer Kabine an und teilte ihr mit, daß einundzwanzig der KAS-betroffenen Besatzungsmitglieder die G-Hängematten verlassen und sich zum Dienst zurückgemeldet hätten.
Min war sich nach wie vor nicht so recht darüber im klaren, was er eigentlich angestellt hatte; aber offensichtlich war es
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