Amnion 4: Chaos und Ordnung
Kapitän völlig klar. Er konnte ganz einfach nicht mitansehen, wie ich zum Ziel eines eventuellen Anschlags werde, ohne mich zu warnen.«
Hashi blinzelte sie an, als hätte ihn der Schlag getroffen.
Vorlage eines Abtrennungsgesetzes. Ein Attentat, um sie zu vereiteln.
Kaze sind doch einfach zu spaßig, was?
Die bloße Vorstellung eines derartigen Vorgangs verursachte ihm ein Gefühl, als wäre er in einen Strudel aus Quarks und Mesonen gesaugt worden; einen Wirbel so winziger Partikelchen der Logik, daß man sie kaum erkennen konnte, gleichzeitig jedoch so unentbehrlich, daß greifbaren Fakten ohne sie jegliche Bedeutung gefehlt hätte. Die Coriolis-Kraft des geistigen Phänomens erfüllte ihn mit exaltierter Hochstimmung, die sich von Entsetzen nicht unterscheiden ließ – einer emotionalen Mixtur, die ihn stärker stimulierte, ihm erstrebenswerter zu sein schien und ihn süchtiger machte, als Pseudoendorphine oder gewöhnliches Kat es gekonnt hätten.
Ein Abtrennungsgesetz, wahrhaftig! Woher nahm der ehrwürdige, nein, greise, ja steinalte Kapitän Sixten Vertigus die schiere Vermessenheit, eine solche Idee vorzuschlagen? Der Mann war doch kaum noch bei Bewußtsein.
Egal. Hashi kostete die Erregung aus, aber verheimlichte sie.
»Was für ein außerordentlich sittliches Verhalten seinerseits«, antwortete er in Koina Hannishs Blick stummer Fragestellung. »Ich kann sein Dilemma nachvollziehen, und ebenso Ihres, meine liebe Koina. Dürfte ich’s mir herausnehmen, Ihnen Ratschläge zu erteilen, würde ich Ihnen empfehlen, unverzüglich den Direktor zu informieren. Oder sogar schneller.« Das mochte nämlich recht nützlich sein, um Warden Dios davon abzulenken, wie Hashi Lebwohl mit der Weiterleitung anderer Informationen bummelte. Und das Ergebnis konnte sich als überaus faszinierend erweisen. Was würde Dios unternehmen, wenn er von Kapitän Vertigus’ Vorhaben erfuhr? »Es kann sein, daß seine Reaktion Sie überrascht.«
Koina musterte den DA-Direktor mit verdrossener Miene, als könnte sie, was sie da hörte, nicht ganz glauben. Dann stand sie unvermittelt aus dem Sessel auf. »Vielen Dank, Direktor Lebwohl«, sagte sie, als wollte sie ihn auf die Probe stellen, bevor er es sich anders überlegte. »Genau das werde ich tun.«
Ohne auf Antwort zu warten, hob sie die Hand an die Tür und gab der Technikerin, die draußen saß, ein Zeichen, damit sie öffnete.
Jetzt stand Hashi unter echtem Zeitdruck. »O nein, Direktorin Hannish«, widersprach er, um ihre Verabschiedung zu vollenden. »Ich danke Ihnen.«
Doch seine Aufmerksamkeit galt schon anderem: seinen Händen, die dem Computerterminal flink Befehle eintippten, um das Resultat seiner Recherchenanfrage bei der Datenverwaltung abzurufen.
Sie haben so etwas wie sie verdient.
Nick Succorso, sang er halb, pfiff er halb durch die Zähne. Wo steckst du? Was treibst du? Was meinst du?
Ihm war fröhlicher denn je zumute.
Was war plausibler? Daß Nick Zugang zu Informationen über Ereignisse auf der Erde hatte? Oder daß ihm klar geworden war, welchen hohen Nutzen Morn Hyland als gegen die VMKP gerichteter Informationskaze hatte? Offenbar mußte letzteres der Fall sein. Dennoch schätzte Hashi diese Möglichkeit als schwer glaubwürdig ein. Er konnte sich nicht vorstellen, wie Succorso – oder Morn Hyland selbst – deutlich geworden sein sollte, wie explosiv das Wissen war, das sie hatte.
Sicherlich war es die einleuchtendste Annahme zu unterstellen, daß Nick Succorso niemand anderes als Sorus Chatelaine meinte.
Aber in welchem Zusammenhang?
Die Datenverwaltung lieferte ihm etwas, das weiterhalf, obwohl Hashi nicht einmal genau hätte sagen können, um was es sich bei dem ›Etwas‹ handelte: eine zufällige Verbindung, vielleicht ein Indiz. Den Grundstein einer Tatsache: mehr nicht. Trotzdem maß er diesem wenigen einen Wert bei, als wäre es wesentlich für seine Exaltation.
Faktische Angaben über die Sturmvogel und ihre Kapitänin Sorus Chatelaine waren kaum vorhanden. Wie die meisten Illegalenraumer fingierte das Schiff einen Frachter, in diesem Fall einen Interspatium-Erzfrachter. Nach den Registrierungsdaten war es im Umraum Beteigeuze Primus’ legal gebaut und vom Stapel gelaufen, stark genug bewaffnet, um wehrhaft zu sein, jedoch zu schwach, um ein brauchbares Piratenschiff abzugeben. Abgesehen vom kürzlichen Aufkreuzen im Bereich Thanatos Minors wies nichts darauf hin, daß die Sturmvogel ein Illegalenschiff sein könnte. Es fehlte
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