Amnion 4: Chaos und Ordnung
hätte jetzt Schiß, aber er war kein bißchen ruhiger, als wir ihn fanden. Ich vermute, weil Succorso ihn mit Vorratsbeschaffung beauftragt hat, ohne klarzustellen, was benötigt wird.« Sein Blick streifte das restliche Team. »Wir sind kein einziges Mal vom Werkschutz mit ihm gesehen worden. Die Werkschutzleute waren mit anderen Dingen beschäftigt. Für sie sieht’s so aus, als wäre er hinausgegangen, während sie nicht hingeguckt haben.«
Sorus nickte. »Gut.« Sobald Retledges Untergebene das Fehlen des Jungen bemerkten, fahndeten sie zweifellos nach ihm, aber ihre Suche würde von der Vorstellung geprägt sein, er hätte sich einfach selbständig entfernt – eventuell um sich einmal im Schwarzlabor umzuschauen, vielleicht auf Succorsos Geheiß.
Aber ehe der Werkschutz ernstlich nervös wurde, wollte Sorus ihn ins Schwarzlabor zurückschicken.
Sie salutierte und ließ das Team abtreten. Nacheinander strebten die Crewmitglieder zur Schleuse hinaus. Sorus blieb mit Ciro und Taverner allein.
Taverner hatte kein Wort gesprochen. Er hätte hinter seiner Sonnenbrille blind sein können; blind und taub, ohne Kenntnis von irgend jemandes Gegenwart.
Sorus hatte ihm vorzuschlagen erwogen, ihr die Drecksarbeit abzunehmen und persönlich zu erledigen. Doch trotz ihres Widerwillens gegen sich selbst hatte sie darauf keinen gesteigerten Wert gelegt. Die Verantwortung für das eigene Handeln war das einzige, wodurch sie ihre geistige Gesundheit und ihr Menschsein beibehielt.
»Ciro«, fragte sie so zerstreut, als wäre sie in Gedanken versunken, »weißt du, wer ich bin?«
Der Junge gab keine Antwort. Voller Panik starrte er sie an, doch darüber hinaus reagierte er auf keinerlei Weise.
»Weißt du, wer das ist?« Mit dem Kopf wies Sorus auf Taverner.
Nicht einmal Ciros Blick ruckte in Taverners Richtung.
Sorus ließ ihrem Tonfall ein wenig Überdruß einfließen. »Was glaubst du, aus welchem Grund ich angeordnet habe, dich herzuholen?«
Ein Moment verstrich, bevor er sich zum Antworten entschloß. »Ich dachte, Sie brauchen einen neuen Besatzungsangehörigen. So was kommt ja vor bei solchen Raumschiffen. Wenn Not am Mann war, hat’s Nick auch schon auf die Tour gemacht… Leute schanghait…« Langsam strafften sich längs seines Kinns die Muskeln, traten sichtbar hervor. »Eigentlich bin ich kein Steward. Ich bin als Bordtechniker geschult worden. Aber darum geht’s Ihnen wohl gar nicht…«
Für eine flüchtige Sekunde klang seine Stimme lauter und höher, als drohte sie zu versagen. Doch er behielt sich in der Gewalt. »Sie sind nicht an mir interessiert. Sie haben’s selber gesagt. Sie wollen mich bloß gegen Nick ausspielen.« Mühsam schluckte er. »Oder die Posaune.«
Sorus seufzte stumm. Also war Ciro trotz seiner Manschetten noch zu klarem Denken fähig. Und er hatte Technikkenntnisse. Aus Sorus’ Sicht war das um so besser. Für ihn hingegen mußte es verschlimmern, was ihm bevorstand.
»Du hast recht«, bestätigte sie. »Du bist tatsächlich vollkommen unwichtig. Du als individuelle Person, meine ich. Ich hätte jeden genommen. Aber du bist gerade greifbar gewesen. Und nun hör mir genau zu…« Sie gab ihm den Rat, als dächte sie, er wäre überhaupt zu etwas anderem imstande.
»Davon hängt nämlich dein Leben ab. Ich wünsche, daß du die Situation rundum verstehst. Du sollst darüber Klarheit haben, daß es mir vollständig ernst ist.«
Er nickte so ruckartig, daß die Bewegung einem Zucken ähnelte. Nie wich sein Blick von Sorus’ Gesicht.
Taverner stand reglos dabei. Nur einmal hätte Sorus ihn zu gerne beunruhigt oder in Verlegenheit gesehen. Infolge des Umstands, daß der Halb-Amnioni keine Spur der Nervosität zeigte, vermittelte er ihr das Gefühl, selbst reichlich zappelig zu sein.
»Ich bin Kapitänin Chatelaine«, stellte sie sich Ciro mit aus Gereiztheit harscher Stimme vor. »Du befindest dich auf dem Raumschiff Sturmvogel. Wir sind auf Thanatos Minor gewesen, als die Käptens Liebchen dort zerschellt ist. Ich bin die Frau, die deinem Kapitän Succorso die Visage zerschlitzt hat. Ich diene den Amnion.«
Unwillkürlich sackte Ciros Kinn herab. »Das soll nicht heißen, daß ich für sie arbeite.« Ohne Rücksicht zeigte Sorus ihren Zorn und Ekel. Ihr lag daran, den jungen Mann einzuschüchtern, ihn bis an den Rand des Gelähmtseins zu erschrecken. »Nein, ich diene ihnen, Ciro. Ich will dir erklären warum.« Dazu gekommen war es in einem anderen Leben, in der Zeit,
Weitere Kostenlose Bücher