Amnion 4: Chaos und Ordnung
will nicht gestört werden.«
Will nicht gestört werden? Was spielte sich hier ab? Morn und Davies hatten Waffen. Sie lauerten Nick in der Luftschleuse auf. Und Angus wollte nicht gestört werden? Später. Um all das konnte sie sich später kümmern. Wenn sie dann noch dazu die Kraft übrig hatte. Sobald sich die Lifttür öffnete, zerrte sie Ciro aus der Aufzugkabine.
Der zentrale Mittschiffskorridor war leer: sämtliche Geräusche im Schiff klangen, als wäre es leer. Zum erstenmal, seit sie sich an Bord der Posaune aufhielt, war die Konnexblende zur Brücke geschlossen. Aber sie nahm sich keine Zeit, um über die Situation nachzudenken. Sollte nun etwas vorfallen, das eine Verzögerung zur Folge hatte, war es vollauf denkbar, daß sie sich das Haar raufte, Haare ausriß; sich am Schott den Kopf einrannte. Mit vier Schritten erreichte sie ihre und Ciros gemeinsame Kabine. Wenigstens reagierte das Kombinationsschloß der Tür, als sie den Code eintippte, auf Anhieb.
Mikka stieß ihren Bruder so roh in die Kabine, daß er taumelte; beinahe hinfiel.
Während er das Gleichgewicht wiedergewann, sich langsam und furchtsam umwandte, schloß sie die Tür; sperrte sie ab. Wäre es möglich gewesen, einen Eisenriegel vorzuschieben, hätte sie es getan. Mit einem Blick auf den Interkom-Apparat überzeugte sie sich davon, daß er sich nicht in Betrieb befand.
Ihre Lungen rangen nach Atem, als sie Ciro inmitten der kleinen Kabine zur Rede stellte. »So.« Der Atem kratzte ihr im Hals. »Jetzt verrätst du mir, was sich ereignet hat. Egal was es ist, wir stehen dagegen zusammen.«
Aus trockenen Augen erwiderte Ciro ihren Blick, als hätte sie ihm vorgeschlagen, ihm die Brust aufzuschneiden und das Herz rauszureißen.
MORN
Morn spürte das Einsetzen der Entzugserscheinungen, das Brennen ihrer Nerven, als hätte Mikkas rasereiartige Durchquerung der Luftschleusenkammer in den Synapsen einen langsamen Schwelbrand entfacht. Bisher war sie zu stark von den Geschehnissen in Anspruch genommen gewesen – und zu sehr voller Furcht –, um die eigene Verfassung zu beachten; zu aufgeputscht vom Adrenalin, um die künstliche Stimulation durch das Zonenimplantat herbeizuwünschen oder zu brauchen.
Angus war noch nicht vorbereitet. Vielmehr war er momentan buchstäblich wehrlos. Sogar Ciro hätte trotz seiner offensichtlichen Verschüchtertheit nun den Cyborg töten können.
Angus’ Ringen um seine Freiheit machte Morn betroffen. Er war ein Opfer seiner Zonenimplantate: sie wußte, wie es sich unter dem Joch dieser Elektroden lebte. Seine Hilflosigkeit rührte in ihrem Herzen an wunde Stellen, die sie gar nicht näher untersuchen mochte.
Gleichzeitig ging ihr die Aussicht, daß er Erfolg haben könnte, gegen den Strich. Sie hatte die Entscheidung getroffen, ihm den Versuch, sich zu befreien, zu gewähren. Jetzt war sie darüber selbst entsetzt.
Aber ohne ihn war sie verloren. Ihr Leben und das ihres Sohns hingen von ihm ab. Und ihre Fähigkeit, all das zu ertragen, was ihr zugestoßen war, und ebenso das, was sie getan hatte, waren von ihrem Vermögen abhängig, Entschlüsse zu fassen, die sich für eine Polizistin gehörten.
Wegen Angus’ gegenwärtiger Schutzlosigkeit warteten sie und Davies in der Luftschleuse auf Nick. Bevor Angus seine Selbsttransformation beendet hatte, konnte er sich nicht verteidigen, erst recht niemand anderes beschützen. Morn und Davies mußten es allein mit Nick aufnehmen.
Wir erschießen ihn einfach, hatte Davies vorgeschlagen. Über Waffen verfügten sie. Ehe er sich ans Werk machte, hatte Angus die Waffenschränke aufgeschlossen.
Morn hatte abgelehnt.
Warum nicht? hatte Davies sich beklagt. Wenn er tot ist, kann er uns nichts mehr anhaben. Und hat keinen Einfluß mehr auf Angus. Wir müssen uns doch nicht ausschließlich auf diese abwegige Möglichkeit verlassen, daß Angus seinen Data-Nukleus modifizieren kann.
Weil wir Polizisten sind, hatte Morn geantwortet. Wir halten es anders.
Und vielleicht brauchen wir ihn noch. Vielleicht will das Schwarzlabor mit niemand anderem verhandeln, und dann muß er uns die Starterlaubnis erschwatzen.
Und es könnte dahin kommen – die bloße Vorstellung flößte ihr Grauen ein –, daß wir seine Hilfe benötigen, sollte Angus außer Kontrolle geraten. Falls die Chance, die wir jetzt haben, zum Bumerang wird. Oder es ihm irgendwie gelingt, aus seiner Programmierung die Restriktion zu löschen, keine VMKP-Mitarbeiter angreifen zu
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