Amnion 4: Chaos und Ordnung
Sie gut acht, Vize-Sicherheitschef Ing, ergänzte er in Gedanken. Es kann sein, daß auch ich Ihren Schutz benötige.
Koina Hannish musterte ihn; Dunkelheit schwamm in den Tiefen ihrer Augen. Unter der krampfhaftstraffen Starre ihrer Wangen und der Stirn ließen sich die Knochen erahnen. Nicht zum erstenmal fragte sich Lebwohl, was sie in Warden Dios’ Auftrag beim Regierungskonzil erledigen mußte; welches Mandat ihr der Polizeipräsident erteilt hatte. Er wünschte Antwort auf diese Frage, doch bezweifelte inzwischen, daß er von der RÖA-Direktorin eine Auskunft erhoffen durfte.
Endlich ging sie auf seine Ausführungen ein; allerdings nur im Flüsterton.
»Haben Sie Warden Dios Bescheid gesagt?«
Trotz seiner Selbstbeherrschung zeigte Hashi Lebwohl sich indigniert. »Bitte beleidigen Sie mich nicht, Koina.« Mißvergnügen rief bei ihm ein sonderbares Gefühl der Wehrlosigkeit hervor. »Auch für mich gilt, was Godsen Frik Ihnen jetzt entgegenhalten würde: Ich verstehe mich auf meine Arbeit.«
Nach einem längeren Moment nickte Koina Hannish. Ganz langsam senkte sie den Blick wieder auf das Bündel Computerausdrucke in ihrer Hand, als fragte sie sich, welchem sinnvollen Zweck all diese Informationen eigentlich dienen sollten.
Lebwohl hatte es nicht eilig. Der Flug durch die Gravitationsquelle der Erde hinunter nach Suka Bator räumte ihm soviel Zeit ein, wie er brauchte: mehr als genug. Er konnte sich Geduld leisten. Also wartete er und schwieg – eine Übung in Zurückhaltsamkeit, deren viele seiner Untergebenen ihn nicht als fähig erachtet hätten –, bis die RÖA-Direktorin schließlich den Kopf hob und ihn von neuem anblickte.
»Ich vermute, Sie haben eigentlich gar kein Interesse daran, von mir einen Lagebericht zu hören.« Ihre Stimme klang leise, aber fest. »Ich bin sicher, Sie wissen längst alles, was ich ihnen erzählt habe.« Ihr Kinn deutete auf ihre Mitarbeiter. »Warum stellen Sie nicht der Einfachheit halber eine konkrete Frage? Dann könnte ich hinsichtlich der Beantwortung eine konkrete Entscheidung treffen.«
Hashi widmete ihr nochmals sein onkelhaftes Lächeln. Jetzt hatte er es dringend nötig; seine eigenen Sorgen lauerten schon zu dicht hinter seiner Fassade. Konnte er fragen: Welche Anweisungen haben Sie von Warden Dios erhalten? Welche Stellung bezieht er zu Kapitän Vertigus’ Abtrennungsgesetz? Nein. Das wäre zu plump. Und nicht das passende Gesprächsthema für Forrest Ings Ohren.
»Wenn mich das Gedächtnis nicht trügt«, sagte er statt dessen, »hatten Sie vor kurzem eine wichtige Unterredung mit unserem verehrten Polizeipräsidenten.«
Ihr Nicken bewies, daß sie wußte, welche Besprechung er meinte; doch sie ignorierte den Köder. Das Ausmaß ihrer Selbstbeherrschung hätte Hashi begeistert, wäre ihm nicht im Augenblick beispiellos mulmig zumute gewesen.
Er räusperte sich. »Darf ich fragen, welche Haltung er eingenommen hat?«
Es hatte den Anschein, als durchdächte die RÖA-Direktorin eine ganze Reihe von Erwägungen, bevor sie antwortete. Sie tat es mit sorgsam gleichmäßiger Stimme, die nichts betonte.
»Er hat mir mitgeteilt, ich sei nicht in Gefahr. Ich glaube, er hat wörtlich gesagt: ›Es geht bei den Attentaten um etwas anderes.‹«
Wahrhaftig. Wirklich und wahrhaftig. Hashi Lebwohl zügelte den Drang, mehrere neue Denkansätze gleichzeitig aufzugreifen. Bei solchen Gelegenheiten beneidete er seine Computer – und auch den eigenen Verstand – um ihre Multitasking-Kapazität. Konversation verlief so kläglich linear. »Wie ich sehe«, meinte er und vollführte eine knappe Geste in die Richtung Forrest Ings, um Zeit zu gewinnen und sich zu überlegen, welchen Ansatz er verfolgen sollte, »verlassen Sie sich nicht völlig auf seine Einschätzung. Oder der Sicherheitsdienst der Operativen Abteilung hat da seine Bedenken.« Allerdings mochte er diese Bemerkungen nicht als Kritik ausgelegt haben. »Selbstverständlich heiße ich diese Vorsicht vorbehaltlos gut. Vorbeugung ist immer am klügsten.«
Er beugte selbst gerne vor. Eines seiner Ziele hatte er erreicht, indem er die RÖA-Direktorin ›öffentlich‹ über die Untersuchungsergebnisse der DA-Abteilung unterrichtete. Ob willig oder nicht, Forrest Ing müßte aussagen, daß Hashi Lebwohl alles ihm Machbare getan hatte, um Koina Hannishs Sicherheit zu gewährleisten.
Inzwischen hatten andere Angelegenheiten Vorrang.
»Verzeihen Sie meine Neugierde«, äußerte Hashi verhalten und so sachlich,
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