Amnion 4: Chaos und Ordnung
als bliebe ihm alles einerlei. »Wie hat der Polizeipräsident auf Ehre Neuigkeiten reagiert?«
Koina sah ihn an, ohne zu zwinkern. In ihrem Blick zeichnete sich eine Tendenz zur Härte ab. »Tut mir leid«, entgegnete sie. Nur ihre Mundwinkel lächelten. »Diese Information ist, wie es Direktor Frik genannt hätte, ›hochvertraulich‹.«
Offensichtlich waren die Zeiten vorüber, in denen sie mit ihm offenherzig auch über Dinge plaudern konnte, die nicht in den engeren Bezugsrahmen seiner Dienstpflichten gehörten. Seit ihrer Beförderung an Godsen Friks Position fühlte sie sich an neue Maßstäbe gebunden. Wie schon so viele Männer und Frauen vor ihr vermochte sie nicht mehr zwischen anhänglicher Treue zu Warden Dios und engagiertem Dienst in der VMKP zu differenzieren.
Von ihr hatte Hashi Lebwohl keine Unterstützung zu erwarten.
Es fiel ihm schwer, aber er begriff ihren Standpunkt. Trotz energischer Bemühungen, um von emotionalen Trübungen des Verstands unbeeinträchtigt zu bleiben, die alle menschlichen Wahrheiten trübten – Werturteilen und Moralisiererei, irrationale Hingabe und blindes Vertrauen –, litt er unter einer ähnlichen Verwirrung. Mit einem Seufzer drückte er die schmächtigen Gliedmaßen tiefer in die Polsterung des G-Andrucksessels.
»In diesem Fall werde ich die Gelegenheit nutzen, um ein kurzes Nickerchen einzulegen.« Er lachte auf, ohne daß er einen Grund hätte nennen können. »Solange uns noch der Friede des Alls umgibt.«
Nachdem er die Lider geschlossen hatte, hörte er Koina Hannish in ihrem Packen Computerausdrucke blättern, um sich weiter über das zu informieren, was bevorstand. Hinter ihm tuschelte Forrest Ing mit dem Kommunikationstechniker, der mittlerweile unter Nutzung der Trichterantennen des Shuttles Funkkontakt aufgenommen hatte, zweifellos sowohl mit dem VMKP-HQ wie auch Sicherheitschef Mandich auf Suka Bator. Doch um all das scherte Hashi Lebwohl sich nicht.
Es geht bei den Attentaten um etwas anderes.
Obschon die Problematik ihn grämte, fragte er sich zum x-ten Mal, ob er dazu imstande war, bei einem dermaßen ausgeklügelten Spiel wie dem, das Warden Dios wagte, mithalten zu können.
Schwerkraft und das gedämpfte Brausen des Eintritts in die Erdatmosphäre holten ihn in den vollen Wachzustand zurück. Polymerisierte Keramik schützte das Shuttle vor der Reibungshitze, aber gegen das Heulen der aufgewirbelten Luft und das Dröhnen des Antriebs gab es keine vollständige Abschirmung. In dieser Phase der Shuttle-Trajektorie übte der Bremsschuh mehr Druck als die Gravitation aus. Die G-Andrucksessel der Passagierkabine drehten sich automatisch in Gegenrichtung, um die Belastung mit den Rücklehnen aufzufangen. Als die G-Werte ihn niederpreßten, schien Hashi Lebwohls hagere Gestalt regelrecht in die Sesselpolsterung einzusinken. Das Eintritts- und Bremsmanöver mutete den Passagieren mehr zu als der Start – die Strapaze übertraf jede körperliche Anstrengung, die Lebwohl im Laufe der letzten Jahre ertragen hatte –, weil jedoch der Andruck graduell zunahm, hatte er keinen traumatischen Charakter.
Hashi warf Koina Hannish einen Blick zu und sah ihre Gesichtszüge zu der üblichen Erstarrung verzerrt, die erhöhte G verursachte, schaute sofort wieder weg, um ihr wenigstens die Illusion des Ungestörtseins zu lassen. Unter diesen Bedingungen hatte das Gesicht selbst des schönsten Menschen unweigerlich offenkundige – und offenkundig würdelose – Ähnlichkeit mit einem Totenschädel.
Barmherzigerweise dauerte der Einflug in die Atmosphäre nur kurz. Nur ein paar Minuten lang fühlte Leb wohl sich rücklings in die Gravitationsquelle hinabgerissen; danach schwenkte das Shuttle in eine horizontale Flugbahn ein, der Bremsschuh schwand. Hashi hatte den Eindruck, ihm hinge die Gesichtshaut so schlaff an den Knochen, als hätte sie jede Elastizität verloren, aber er konnte wieder leichter atmen, und die Beklemmung des überhöhten Drucks wich von seinem Herzen.
In zwanzig Minuten würde das Shuttle seine Gleitkufen auf der glasierten Landebahn von Suka Bators Raumhafen fast zu Schlacke zerreiben und der DA-Direktor wenig später zum erstenmal seit mehr Jahren, als nachzurechnen er Lust verspürte, wieder seinen Heimatplaneten betreten.
Jetzt war der richtige Zeitpunkt da, um den nächstfälligen Schritt zu tun, die nächste Vorsichtsmaßnahme in die Wege zu leiten.
»Vize-Sicherheitschef Ing…« Jetzt befand sich Hashi Lebwohls Platz hinter
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