Amnion 4: Chaos und Ordnung
sogar Schlimmerem. Tatsächlich befürchte ich, daß jedes Anzeichen der Konfusion in der VMKP unseren sämtlichen Feinden umgehend die erforderliche Chance zum offenen Angriff böte.«
Endlich fiel Licht auf die Gesichtszüge des Wachmanns, den Hashi Lebwohl beobachtete.
»›Ich wollte sehen, und ich habe gesehen‹«, flüsterte der DA-Direktor, zitierte aus Überraschung schamlos ein Dichterwort.
Nathan Alt. Ex-Kapitänhauptmann Nathan Alt, ehedem Kommandant des VMKP-Polizeikreuzers Vehemenz. Bis Min Donner ihn wegen ›Pflichtversäumnis‹ vor ein Disziplinargericht gebracht hatte.
Keine Sekunde lang bezweifelte Hashi Lebwohl, daß er richtig sah. Er traute seinem umfangreichen Gedächtnis. Aber was in Heisenbergs Namen trieb Nathan Alt hier? In der Uniform eines EKRK-Schutzdienstmanns?
Sofort drehte der DA-Direktor sich im Sessel um und faßte den jungen Mann, den Forrest Ing ihm unterstellt hatte – Kadett Crender –, am Arm.
»Kommen Sie mit!«
Ohne auf Antwort zu warten, stand Hashi auf und durchquerte die besetzten Stuhlreihen, nahm die Richtung zur anderen Seite des Saals.
Sixten Vertigus war ein gebrechlicher, alter und obendrein vielleicht geschlagener Mann. Er sparte sich die Mühe, den Blick zu heben oder den Kopf zu drehen. Dennoch entbot er als einziger im Saal dem Geschäftsführenden Obermanagementdirektor eine Erwiderung.
»Das alles ist vollständig irrelevant, Mr. Fane«, entgegnete er matt. Trotz seiner Müdigkeit jedoch klangen seine Worte sehr deutlich. »Es ändert nichts. Sie würden genau die gleichen Beteuerungen mit genau dem gleichen Brustton der Überzeugung vortragen, hätte Ihr Chef, Holt Fasner, seine Seele den Amnion verkauft.«
Ein allgemeines Japsen des Erschreckens ging durch den Beratungssaal. Mit einem Ruck wandte Abrim Len sich Sixten Vertigus zu, stierte den VWB-Delegierten an. Noch nie hatte jemand so etwas vor dem EKRK laut ausgesprochen.
Hashi bewunderte Vertigus für die Fane erteilte Abfuhr, aber ließ sich nicht ablenken. Sobald er die oberste Stuhlreihe und den Laufgang an der Wand erreichte, drehte er sich wieder nach Kadett Crender um, zog den jungen Mann zu sich heran.
»Bleiben Sie dicht hinter mir«, befahl er so leise, daß die Wachleute im näheren Umkreis ihn nicht hören konnten. »Halten Sie sich bereit.«
In seinen unordentlich geschnürten Schuhen schlenderte Hashi an der Wand entlang, als wüßte er keinen Anlaß zur Eile; er hoffte, den Gegenstand seines Interesses früh genug abfangen zu können, um rechtzeitig herauszufinden, ob er eventuell nur in der Gefahr schwebte, sich zum Narren zu machen.
Beharrlich folgte Kadett Crender ihm.
Unten reckte Cleatus Fane seinen Bart empor. »Ich will diese Beleidigung bis auf weiteres überhören«, schnauzte er. »Um was geht es denn, Kapitän Vertigus?«
Sixten Vertigus seufzte. Möglicherweise war er inzwischen gänzlich erschöpft, aber er brachte noch die Kraft zum Antworten auf.
»Dauernd reden Sie über die praktische Nutzanwendung der Macht. ›Aller Eifer und alle Entschiedenheit‹ könnten damit ›nicht konkurrieren‹. Natürlich nicht. Aber das ist auch gar nicht Sinn und Zweck des Abtrennungsgesetzes. Es hat vielmehr etwas mit Ethik zu tun, Mr. Fane, mit Ethik und Verantwortungsbewußtsein. Wir sind die erwählten Repräsentanten der Menschheit. Holt Fasner ist nichts dergleichen. Die Verantwortung für die Führung der Polizei der ganzen Menschheit und die Bestimmung über ihre Einsätze obliegt uns, nicht ihm.«
Bravo, Kapitän, dachte Hashi Lebwohl. Trotzdem schlurfte er weiter. Währenddessen konzentrierte er sich darauf, der Umgebung vorzutäuschen, sein Dahintappen hätte einen banalen Grund; daß er sich vielleicht auf dem Weg zur Toilette verirrt hatte. Am wenigsten wünschte er, daß die Wachleute plötzlich ihn beobachteten anstatt die Konzilsdelegierten und ihre Mitarbeiter.
Cleatus Fane schnaubte in den steifen Schnurrbart. Falls Sixten Vertigus’ Antworten – oder seine Entschlossenheit ihm Bestürzung einflößten, verheimlichte er es. Und auf keinen Fall war er seinerseits um Antworten verlegen.
»Ich glaube, Sie werden feststellen müssen«, konterte er, »daß die Polizei keineswegs dermaßen blauäugig ist. Und wahrscheinlich hat man dort sogar einen dezidierten Standpunkt, was Ihre absurde Behauptung betrifft, man könnte Holt Fasner nicht soweit vertrauen, daß er ihre Unbescholtenheit garantiert. Ich zögere wahrhaftig nicht im geringsten, Ihnen
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