Amnion 4: Chaos und Ordnung
Entscheidung obliegt dem Konzil. Was Sie beschließen, wird von uns akzeptiert. Verhielten wir uns anders, wäre das ein Vertrauensbruch gegenüber dem Konzil, und die Menschheit wäre ohne uns besser dran.«
Koina Hannish senkte den Kopf. »Ich danke Ihnen«, äußerte sie zum Schluß, »für die Gelegenheit zur Stellungnahme.«
Das Regierungskonzil hatte im Laufe dieser Sitzung schon zu viele Überraschungen erlebt. Die Deputierten und ihre Mitarbeiter saßen da und starrten die RÖA-Direktorin an, als wären sie von kollektiver Lähmung befallen worden. Cleatus Fanes Ähnlichkeit mit dem Weihnachtsmann harte sich auf eine durchschaubare Illusion reduziert: Jetzt stand in seinen Augen mörderische Finsternis. Sigune Carsins Miene spiegelte fassungsloses Staunen wider. Len versuchte den Mund zu schließen, doch inzwischen war ihm der Unterkiefer zu schwer. Maxim Igensard zappelte an seinem Platz, als lechzte er regelrecht danach, sich an die Versammlung zu wenden. Langsam hob Kapitän Vertigus den Kopf und schaute Koina Hannish an: Möglicherweise harte er Tränen in den Augen.
Hashi Lebwohl fühlte sich mehr als erfreut: er empfand gründliche Erleichterung. Zumindest in dieser Hinsicht war seine Beurteilung des Polizeipräsidenten nicht irrig gewesen. Was Sie beschließen, wird von uns akzeptiert. Warden Dios’ sonderbare Umtriebe, wie unbegreiflich sie auch wirken mochten, richteten sich gegen Holt Fasner.
Infolgedessen stellte die schwierige Frage nach Hashis Treue sich für ihn jetzt erheblich einfacher.
Um sich davon zu überzeugen, daß Kadett Crender sich bei ihm hielt, drehte er den Kopf und sah seinen Begleiter an.
Der Sicherheitsdienstler war unglaublich bleich geworden, das Blut ihm dermaßen aus den Wangen gewichen, als müßte er in Ohnmacht sinken. Intuitiv erkannte Hashi, daß der junge Mann den Konflikt verstand, den man im Beratungssaal austrug. Jung war er zwar, aber nicht dumm.
Doch der DA-Direktor hatte keine Zeit für weiteres Zaudern. In den Augenwinkeln erregte Bewegung seine Beachtung: Nathan Alt kam näher. Jetzt hatte der Mann, den Lebwohl belauerte, einen Standort an der Wand oberhalb Kapitän Vertigus’ eingenommen, hinter seinem Platz.
»Dadurch ändert sich nichts an meiner Einschätzung«, knurrte Fane barsch; allerdings hätten seine Worte jetzt genausogut von einem puren Großmaul stammen können. »Wenn das Regierungskonzil etwas unternimmt, das die Tätigkeit der Polizei stört, sie ausgerechnet zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwächt, werden wir alle es bereuen. Das ist meine Überzeugung.«
Indem er zu Gott oder Heisenberg darum flehte, daß der Kadett intelligent genug war, um schnell zu reagieren, hingegen nicht so intelligent, um sich selbst im Weg zu stehen, schlurfte Hashi wieder vorwärts, beschleunigte seinen Schritt etwas, um Alt zu erreichen, ehe der Mann ihn bemerkte.
Konzilsvorsitzender Len hatte erneut das Wort ergriffen, rief das EKRK zur Ordnung, aber Hashi beachtete ihn nicht. Alt war schon zu nah bei Kapitän Vertigus. Schlimmer noch, er verminderte den Abstand zu Cleatus Fane. Die Aufmerksamkeit ausschließlich auf den ehemaligen VMKP-Kapitänhauptmann konzentriert, huschte Lebwohl an der Wand entlang.
Drei Meter vor Nathan Alt blieb er stehen. Endlich hatte er sich nahe genug angeschlichen, um das Namensschild der Uniform und den Schriftzug auf der an die Brusttasche geklemmten Dienstmarke lesen zu können.
Beide wiesen Alt als ›EKRK-Schutzdienst-Wachhneister Clay Imposs‹ aus.
Hashi Lebwohl erschrak. Inmitten des ungewissen Wirbelns subatomarer Partikel betrachtete er den Mann.
Alt schenkte dem DA-Direktor keine Beachtung. Seine verschleierten Augen glotzten reglos und blicklos geradeaus, ohne irgend etwas anzusehen. Seine Pupillen waren unterschiedlich geweitet. Wächsern blaß hing ihm die Gesichtshaut schlaff von den Wangenknochen.
Hashi kannte die Symptome. Weil er mit dergleichen schon oft zu tun gehabt hatte, wußte er keinen Grund zum Zweifeln.
Nathan Alt befand sich im Zustand einer drogeninduzierten Hypnose.
Mit hölzernen Bewegungen setzte er sein graduelles Anschleichen in Cleatus Fanes Richtung fort. Es war zu spät, längst zu spät, Hashi hatte zu lange gezögert, sich von Unsicherheit hemmen statt von Sicherheit leiten lassen. Nur Alts chemisch bedingter Stupor rettete die Situation.
»Nehmen Sie den Mann fest!« befahl Hashi energisch, indem er zu Crender herumfuhr. »Schaffen Sie ihn hinaus!«
Der junge Mann erstarrte.
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