Amok: Thriller (German Edition)
hatte. Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb ihr der Eintrag auffiel.
Carls Name sprang sie regelrecht an, als sie die Seite aufschlug. Sie hielt im Lesen inne und blickte auf. Craig klapperte in der Küche herum, öffnete Schränke und Schubladen.
»Hast du Relish da?«
»Oben rechts, im Schrank über dem Herd.«
Sie sah wieder in das Tagebuch. Holte tief Luft und las den Eintrag vom 25. November.
Kühler Tag, bedeckt. Ganz angenehm. Nachmittags der übliche Spaziergang, aber Lisa war müde, also beschlossen wir, für den Rückweg die Abkürzung durch den Wald nördlich der Farm zu nehmen. Wir hörten ein merkwürdiges Geräusch und dachten, es wären vielleicht Jugendliche, die dort irgendwelchen Unsinn trieben. Ich ließ Lisa stehen und ging nachsehen. Auf einer Lichtung stieß ich auf zwei Männer, die Zielscheiben an den Bäumen befestigten. Einer der beiden hatte eine Schrotflinte. Wie sich herausstellte, war es Carl Forester, der Bursche, der unsere Koniferen zurückgeschnitten hat. Der andere war ein ganz unangenehmer Typ mit einer extrem aggressiven Ausstrahlung. Er kam auf mich zu und beschuldigte mich, unbefugt ein Privatgrundstück zu betreten. Ich wies ihn darauf hin, dass die Dorfbewohner schon seit jeher das Betretungsrecht für diesen Wald hatten. Lisa hörte den Wortwechsel und rief mir zu, wir sollten weitergehen. Sehr unerfreulich. Frage mich immer noch, ob ich nicht besser zur Polizei gegangen wäre, aber als ich hinterher mit Lisa darüber sprach, meinte sie, sie sei nicht sicher, ob Matheson das Betreten des Waldes noch erlaubt. All das hat einen ziemlichen Schatten über den Tag geworfen.
Craig kam mit den Sandwiches herein. Als sie aufblickte, sah er die Veränderung in ihrem Gesicht.
»Du hast etwas gefunden, nicht wahr?«
»Er hat sie gesehen«, sagte Julia. »Carl und den zweiten Täter. Vater hat sie beide gesehen.«
56
Als Toby den Range Rover erkannte, der vor Chilton Manor parkte, war er im ersten Moment versucht, zu wenden und unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu fahren. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Onkel so bald nach ihrer gestrigen Unterredung mit Vilner sprechen würde, wenn überhaupt. Einen Moment lang war er hin- und hergerissen. Er wollte nicht in ihre Besprechung platzen, aber er wollte die Fahrt auch nicht umsonst gemacht haben.
Er stellte den Wagen hinter dem Haus ab und nahm den alten Dienstboteneingang. Die Schlüssel hatte er seit seiner Teenagerzeit, als er die Schulferien – wie später die Semesterferien – meist bei seiner Tante und seinem Onkel verbracht hatte. Bis heute durfte er kommen und gehen, wie es ihm beliebte, wenn er auch nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen wurde. Speziell seine Tante schien es ihm zu verübeln, wenn er unangemeldet aufkreuzte, und vor ungefähr einem Jahr hatte er angefangen, seine Besuche drastisch zu reduzieren.
Es war nicht ausgeschlossen, dass Vanessa zu Hause war, doch er hielt es nicht für sehr wahrscheinlich. Seit Toby sich erinnern konnte, gingen sie und George ihre eigenen Wege, und Vanessa hatte schon immer das Haus in London bevorzugt. Dennoch versuchte er möglichst wenig Lärm zu machen, als er durch die Spülküche in die große, kahle Küche ging. Die Idiotie des Lebens, das sein Onkel führte, ging ihm gegen den Strich. Richtig genutzt, mit einem Heer von Bediensteten, hätte das Gutshaus eine Luxusresidenz sein können. So, wie George lebte, hätte er ebenso gut ein knickriger Rentner sein können, der in einem Bungalow hauste.
In der Halle hielt er inne, als er aus dem Salon Stimmen hörte, und eilte dann nach oben in Georges Büro. Nachdem er sicherheitshalber leise angeklopft hatte, öffnete er die Tür.
Der Schreibtisch seines Onkels war ungewöhnlich aufgeräumt. Toby hatte den Eindruck, dass hier nicht mehr allzu viel gearbeitet wurde. In der vagen Hoffnung, vielleicht irgendetwas von Wert zu finden, startete er eine flüchtige Suche, doch sowohl die Schreibtischschubladen als auch die Aktenschränke waren abgeschlossen. Er unterdrückte den Drang, irgendwo dagegenzutreten, und verließ den Raum.
Als er gerade dabei war, die Tür vorsichtig zuzuziehen, hörte er ein Geräusch am Ende des Flurs – als hätte jemand kurz den Ton an einem Fernseher oder einem Radio aufgedreht. Er runzelte die Stirn und horchte weiter, um sich zu vergewissern, dass er es sich nicht eingebildet hatte. Die Musik wich gedämpften Gesprächsfetzen. Jemand schaltete zwischen den Kanälen
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