Amok: Thriller (German Edition)
war Nina, die sich meldete, genau wie Julia es geahnt hatte. Sie klang gehetzt und reizbar.
»Ist Craig zu Hause?«
»Er ist schon weg. Wer ist da?«
»Julia Trent.«
Nina gab einen Laut von sich, in dem sich Abscheu und Verachtung mischten. »Finden Sie nicht, dass Sie schon genug Schaden angerichtet haben mit Ihrer lächerlichen Geschichte über das Massaker? Lassen Sie meinen Mann in Ruhe, und behalten Sie Ihre irren Theorien für sich. Sie machen nichts als Ärger.«
Sie knallte den Hörer auf die Gabel. Julia sackte auf ihrem Stuhl zusammen; es verschlug ihr regelrecht den Atem. Der Traum war eine furchtbare Vorahnung gewesen. Sie war vollkommen allein.
Allein vor der anrollenden Welle.
60
George hatte die ganze Nacht kaum ein Auge zugetan. Vanessa war um vier Uhr morgens mit Schmerzen und starken Blutungen aufgewacht. Der Arzt wurde geholt und erklärte, dass sie für einen Transport ins Krankenhaus zu schwach sei. Als er aus ihrem Zimmer kam, war seine Miene sehr ernst.
»Es wird jetzt nicht mehr lange dauern«, sagte er zu George. »Sie müssen sich auf das Ende vorbereiten.«
George nickte nur. Viel später erst kam ihm der Gedanke, dass er sich schon längst auf das Ende vorbereitete, und das in vielfältigerer Weise, als der gute Doktor ahnen konnte.
Inzwischen war es sieben. Er brach zu einem Rundgang durch die Anlagen auf, genoss die heitere Ruhe einer Welt, die noch nicht ganz erwacht war. Die Luft war frisch und kalt und glasklar, der Himmel makellos blau bis auf ein paar verblassende Kondensstreifen. Er versuchte sich in Vanessas dahinschwindende Existenz hineinzudenken, mit der unerbittlichen Erkenntnis konfrontiert, dass diese glorreichen Morgen bald schon ohne sie dämmern würden.
Und daran schloss sich die Überlegung an, dass sein eigenes Leben derzeit auch nicht allzu glorreich war.
Es wurde bald noch schlimmer. George hatte gerade ein kärgliches Frühstück zu sich genommen und saß an Vanessas Bett, als Terry Sullivan anrief.
»Jetzt ist die Kacke so richtig am Dampfen«, sagte der Polizist. »Du erinnerst dich doch an diese Zeugin, Alice Jones, die sich oben in ihrem Schlafzimmer versteckt hatte?«
George gab nur ein unverbindliches Brummen von sich. Sullivan sollte nicht wissen, dass er den Bericht Wort für Wort studiert hatte.
»Offenbar hat sie uns einen Haufen Lügen aufgetischt. Entweder das, oder sie ist vollkommen durchgeknallt.«
»Wieso?«, fragte George. Er spürte, wie es ihm eiskalt über den Rücken kroch.
»Sie behauptet plötzlich, Julia Trent hätte recht. Es habe tatsächlich einen zweiten Täter gegeben.«
»Das hat sie zu Protokoll gegeben?«
Sullivan lachte schallend. »Schön wär‘s.«
George verzog das Gesicht, als es ihm dämmerte. »Die Medien?«
»Genau. Hat sich mit dem billigsten und schäbigsten Boulevardblatt von allen zusammengetan. Und weißt du, warum sie zu denen gegangen ist und nicht zu uns? Sie behauptet, wir könnten nicht für ihre Sicherheit garantieren. Ein Teil der Vereinbarung ist, dass die Zeitung sie und ihre Familie an einen sicheren Ort bringt und sie dort so lange wohnen lässt, wie es nötig ist.«
»So lange wie nötig?«, wiederholte George, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Neben ihm regte sich Vanessa und schlug die Augen auf.
»Bis der Täter gefasst ist. Und jeder kreuzbrave Trottel, der dieses Schmierblatt liest, wird sagen, dass das nur vernünftig und sinnvoll ist. Die anderen Zeitungen werden sich derweil um das Privileg balgen, uns in Stücke zu reißen und uns der Inkompetenz, Korruption und was weiß ich nicht alles zu beschuldigen.« Er seufzte schwer. »Die Folgen werden katastrophal sein.«
»Wie hast du das herausgefunden? Ich nehme an, dass die Story noch nicht gedruckt ist.«
»Nein. Sie warnen uns schon mal gerne vor. Oft ist es nichts als eine schlecht getarnte Erpressung. Sie springen nicht allzu hart mit der Polizei um, wenn wir uns dafür zur Zusammenarbeit bereit erklären.«
»Und werdet ihr darauf eingehen?«
»Das entscheiden die Oberbosse. Wie man hört, machen sie sich deswegen schon die Hosen voll.«
»Was werdet ihr also tun? Die Ermittlung neu aufrollen?«
»Ich sehe keine andere Möglichkeit.«
Vanessa sah ihn fragend an. George lächelte und schüttelte den Kopf, um ihr zu bedeuten: Nichts Wichtiges. Sie machte die Augen wieder zu.
»Natürlich könnte sie sich das alles aus den Fingern gesogen haben, um abzukassieren«, fuhr Sullivan fort. »Würde mich nicht
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