Amok: Thriller (German Edition)
nach etwas Essbarem in eine Höhle voller Wölfe gewagt hatte. Aber jetzt war es zu spät. Die Karten waren gemischt, und sie würden fallen, wie sie fielen.
Er kehrte in Vanessas Zimmer zurück. Die Pflegerin hob den Finger an die Lippen: Wecken Sie sie nicht. Georges Blick ruhte auf der Decke, unter der sich die gnomenhafte Gestalt seiner Frau abzeichnete. Obwohl kaum eine Stunde vergangen war, seit er das Zimmer verlassen hatte, schien sie noch weiter geschrumpft zu sein, als hätte sie sich vorgenommen, die Welt durch einen Prozess der fortschreitenden Reduktion zu verlassen, immer kleiner und kleiner zu werden, bis sie schließlich ganz verschwunden war.
Bei der Vorstellung musste er lächeln. Wenn es doch nur so gnädig wäre.
Die Pflegerin hatte das Telefon ausgestöpselt, damit Vanessa nicht gestört würde. George merkte es erst, als sein Handy in der Tasche zu summen begann. Er warf einen Blick auf das Display, und sein Herz krampfte sich zusammen.
Ungläubig lauschte er dem ersten Funken einer positiven Nachricht seit langem – seit einer Ewigkeit, wie ihm schien. »Sind Sie sicher?«, fragte er. »Es gibt wirklich keinen Zweifel? Sie ist wach?«
Jetzt klang der Anrufer plötzlich ernster, reservierter. George passte sich seinem Tonfall an, als er sagte: »Es ist natürlich noch ein langer Weg. Aber das gibt wenigstens Anlass zur Hoffnung. Ich danke Ihnen. Vielen Dank.«
Er beendete das Gespräch und schrak zusammen, als er Vanessa fragen hörte: »Was ist passiert?«
Ihre Augen waren offen, und sie starrte ihn mit beunruhigter Miene an. Erst jetzt registrierte er die Tränen auf seinen Wangen. Er wischte sie mit den Fäusten weg.
»Nichts«, log er. »Es ist nichts.«
Bitte, lass es Alice sein , dachte Julia. Oder wenn nicht, dann wenigstens Craig, der sich für Ninas Tirade entschuldigen wollte.
Aber es war eine fremde Stimme – männlich, gebildet und höflich, mit nur einem ganz leisen Anklang des Slangs der Londoner Kleinganoven und Halbweltler.
»Julia Trent? Mein Name ist Guy Fisher, ich rufe wegen Alice Jones an.«
»Was ist passiert? Geht es ihr gut?«
Er klang verwundert. »Bestens. Wieso?«
»Sie hat mich heute Morgen angerufen. Es klang, als …« Jetzt kam sie sich plötzlich albern vor. »Ich hatte den Eindruck, sie könnte sich etwas antun.«
»Nein, sie ist gesund und munter. Und sie hat gerade einen sehr lukrativen Deal mit uns gemacht.«
Julia runzelte die Stirn, erleichtert und zugleich verwirrt, bis endlich der Groschen fiel. »Sie sind Journalist?«
»Genau, allerdings darf ich Ihnen nicht sagen, von welcher Zeitung. Alles noch top secret im Moment. Die Konkurrenz soll uns ja schließlich nicht die Story vor der Nase wegschnappen.«
Jetzt ergaben Alices kryptische Bemerkungen plötzlich einen Sinn: Es ist nicht ganz das, was Sie vorgeschlagen haben.
»Ein Boulevardblatt, nehme ich an?«
»Eines der größten und besten«, gab Fisher prompt zurück. Sie konnte das Grinsen in seiner Stimme hören.
»Was hat sie Ihnen gesagt?«
»Das volle Programm. Das ist ein echter Knüller.« Er schnaubte. »Aber Ihnen muss ich das ja nicht erzählen. Ein echter Skandal, dass die Polizei Ihre Aussagen zu dem zweiten Schützen einfach so ignoriert hat. Dank der Inkompetenz unserer Freunde und Helfer läuft jetzt immer noch ein Massenmörder frei herum.«
Sie machte den Mund auf, um zu sagen, dass es nicht ganz so simpel sei, doch dann bremste sie sich. Das war genau das, worauf er aus war.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte er. »Alice ist wohlauf, zusammen mit ihrem Gatten und den Kindern, und wir werden dafür sorgen, dass es so bleibt, bis dieser Kerl hinter Gittern ist.« Er schien geradezu absurd stolz darauf zu sein. »Aber es geht nicht nur um Alice. Sie, Julia, spielen auch eine große Rolle bei der Geschichte. Eine viel größere Rolle, um ehrlich zu sein. Und an diesem Punkt wird es ein bisschen kompliziert.«
»Wie meinen Sie das?«
»Das ist eine Menge Geld, die wir da locker machen. Sie werden verstehen, dass wir ganz sichergehen müssen, dass wir nicht die Katze im Sack kaufen. Ein Teil des Deals mit Alice ist, dass wir mit Ihnen sprechen, ganz inoffiziell natürlich …« Eine hoffnungsvolle Pause. »Es sei denn, Sie möchten auch einen Vertrag unterschreiben?«
»Darauf verzichte ich vorläufig«, sagte sie. »Reden Sie weiter.«
»Gut, dann also inoffiziell. Wir müssen Alices Statement durchgehen und sicherstellen, dass alles, was sie uns sagt,
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