Amok: Thriller (German Edition)
Er klappte den Aktenkoffer auf und entnahm ihm einen E-Pick. Im Gefängnis hatte er sich die Grundlagen des Schlösserknackens angeeignet und seine Fertigkeiten im Lauf der Jahre mit einem herkömmlichen Werkzeugsatz perfektioniert, aber wenn man den elektrischen Pick einmal beherrschte, ging die Arbeit damit wesentlich schneller und unauffälliger vonstatten.
Heute schien sein Glückstag zu sein: Das Einsteckschloss war nicht abgesperrt. In weniger als einer Minute hatte er das Zylinderschloss geknackt, und die Tür sprang auf. Er hob den Aktenkoffer über die Schwelle und machte die Tür hinter sich zu. Eine Windbö heulte dumpf im Kamin, und die Dachbalken knarrten wie die Spanten eines Schiffs im Sturm.
Er konnte sehen, dass das Zimmer zu seiner Linken leer war; Abdrücke im Teppich zeigten noch, wo die Möbel gestanden hatten. Er bückte sich, um den Pick zu verstauen und nach seiner Waffe zu greifen. Als er den Deckel des Aktenkoffers aufklappte, registrierte er eine Bewegung in dem Zimmer zu seiner Rechten. Etwas kam auf ihn zu, schnell und mit Wucht. Keine Zeit, die Pistole einzusetzen. Er konnte sich nur zur Seite drehen und versuchen, den Schlag abzufangen, aber das war zu wenig.
Doch kein Glückstag , war sein letzter Gedanke, bevor er das Bewusstsein verlor.
Noch ein weiterer Anruf war vor kurzem eingegangen, ebenfalls mit unterdrückter Rufnummer, aber es waren keine Nachrichten hinterlassen worden. Auch nicht von Craig.
Mehr als eine Stunde lang zerbrach sie sich den Kopf, ehe sie den Entschluss fasste, dass sie ihn warnen musste. Da sie keine neuerliche Konfrontation mit Nina riskieren wollte, versuchte sie es auf seinem Handy und bekam die Mailbox dran. Spontan beschloss sie, eine Nachricht zu hinterlassen.
»Craig, hier ist Julia. Ich dachte, ich sollte dich vorwarnen – Alice Jones hat ihre Geschichte an die Presse verkauft. Der Journalist will, dass ich ihre Version bestätige, also habe ich eingewilligt, mich heute Abend mit ihm zu treffen. Ich rufe dich an, sobald ich zurück bin, wahrscheinlich so gegen acht. Wenn du meine Nachricht noch rechtzeitig hörst, ruf zurück, dann können wir darüber reden, wie viel ich preisgeben sollte.« Sie schluckte und dachte: Aber wir dürfen nicht miteinander sprechen.
Weniger als eine Minute nachdem sie aufgelegt hatte, klingelte es bei ihr. Entweder Craig, der auf ihre Nachricht reagierte – oder Nina, die sie abgefangen hatte und zurückrief, um Julia eine Szene zu machen.
Aber es war keiner von beiden, sondern eine Frau mit einem gepflegten, aber etwas harschen schottischen Akzent, die fragte: »Spreche ich mit Julia Trent?«
»Ja.«
»Julia, ich bin Sheila Naughton. Sie wissen doch sicherlich, dass eine neue große Exklusivstory in Vorbereitung ist, und ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht Ihre eigenen Kommentare dazu -«
»Nein, danke. Ich habe nichts zu sagen.«
Julia legte den Hörer auf und hielt ihn niedergedrückt, als wäre er ein kleines Tier, das sie bändigen musste. Binnen zehn Sekunden läutete es erneut. Sie hob den Hörer ab und legte ihn sofort wieder auf. Nach weiteren zehn Sekunden klingelte es wieder. Sie zog den Telefonstecker aus der Wand.
Offensichtlich war es Guy Fisher nicht gelungen, die Story unter Verschluss zu halten.
Der Ansturm hatte begonnen.
Vilner war wieder dreizehn Jahre alt und versuchte in einer Herrentoilette in der Nähe der Sovereign Street einem Pädo sein Geld abzuknöpfen. Zu spät merkte er, dass er in einen Hinterhalt gelockt worden war. Ein zweiter Mann kam plötzlich aus einer der Kabinen und stieß ihn zu Boden. Vilner schlug mit dem Kopf auf den schmutzigen Fliesenboden und verlor das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, lag er mit dem Gesicht nach unten in einer stinkenden Urinpfütze, und einer der Männer zerrte an seiner Jeans, während der andere über ihm kniete, seinen Schwanz bearbeitete und schwer atmend ankündigte, wo er ihn reinstecken würde.
Vilner explodierte. Er trat wild nach hinten aus und traf den ersten Mann im Gesicht, bäumte sich dann auf, packte den zweiten an den Eiern und quetschte sie mit aller Kraft zusammen. Über und über glitschig von den nassen Fliesen, entwand er sich den Fäusten, die auf ihn einprügelten, und entkam schließlich. Er stürzte hinaus in das Zwielicht des Winternachmittags und sprintete los in Richtung Briggate, wo er in den Scharen von Passanten untertauchte, die in der Fußgängerzone ihre Weihnachtseinkäufe tätigten.
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