Amok: Thriller (German Edition)
er sich wohl wegen des schlechten Wetters verspätet hatte oder überhaupt nicht kommen konnte, da entdeckte sie ihn.
Der Zug war proppenvoll mit Menschen, die vom samstäglichen Einkauf kamen, und etlichen Fußballfans. Craig konnte sich gerade noch auf einen Fensterplatz quetschen, neben einem ekelhaft fetten Mann, der nach Bier und Schweiß stank. Er versuchte so flach wie möglich zu atmen und drehte das Gesicht zum Fenster, aus dem ihm ein bleiches, sorgenvolles Spiegelbild entgegenblickte.
Von Marie hatte er erfahren, dass Abbys Laptop verschwunden war, ebenso wie ihr Blackberry, den sie wie ihren Augapfel gehütet hatte. Auf Maries Nachfrage hatte der Polizist geantwortet, er wisse nicht, ob diese Gegenstände gefunden worden seien, halte es aber für sehr unwahrscheinlich. Craig war der gleichen Ansicht. Und das hieß, dass niemand genau wusste, wie weit sie mit ihren Nachforschungen gekommen war.
Jetzt ging er noch einmal sein Telefonat mit Abby vom Donnerstagmorgen durch. Sie hatte so gut wie nichts über Kendrick gewusst, außer dass er aus Trinidad stammte. Was sie über Vilner herausgefunden hatte, bestätigte Craigs Verdacht. Vilner hatte das Geld, das er verliehen hatte, als Druckmittel benutzt, um von Mathesons Geschäften zu profitieren. Was hatte Abby gesagt? Spielschulden, die Georges Neffe angehäuft hatte – Toby irgendwas. Harman?
Er zuckte zusammen, als ein Schwall Regentropfen gegen die Fensterscheibe trommelte. Der Mann neben ihm rutschte auf seinem Sitz hin und her und drängte ihn noch mehr in die Ecke. Craig versuchte seine unbequeme Lage zu ignorieren. Irgendein Detail des Gesprächs spukte ihm im Kopf herum, doch er bekam es nicht zu fassen. Es gelang ihm einfach nicht, es ans Licht zu zerren.
Der Zug rumpelte und ratterte, und Craig sah Blätter am Fenster vorüberwirbeln. Er dachte an den Rasen seines Vaters, der immer so picobello in Schuss gewesen war, und fragte sich beiläufig, in welchem Alter ein Mann wohl die nötige Geduld entwickelte, nach jedem Sturm das Laub in seinem Garten zusammenzurechen. Er dachte an den widerlichen Typen, den er beim Fotografieren der Haustür ertappt hatte.
Er dachte an Julia und daran, wie sie das Tagebuch ihres Vaters gelesen hatte, an den Wirbel der Gefühle, der sie beide mit sich gerissen hatte, der zuerst zu einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung und dann völlig unerwartet zu einer ganz anderen Art von Leidenschaft geführt hatte.
Ein lautes Schnarchen seines Sitznachbarn riss Craig aus seinen Tagträumen. Zurück blieb die aufreizende Gewissheit, dass er dieser Erkenntnis – was immer es sein mochte – schon zum Greifen nahe gekommen war.
Grenzüberschreitung. Es hatte etwas mit Grenzüberschreitung zu tun.
Guy Fisher war nicht ganz das, was sie erwartet hatte. Die Stimme am Telefon hatte selbstsicher, ja großspurig geklungen, doch der Mann, der allein an einem Ecktisch saß, wirkte wie ein Stubenhocker und sah nun wirklich alles andere als umwerfend aus. Sie fragte sich sofort, wie oft er schon Frauen beeindruckt hatte, die nur seine Stimme gehört hatten und dann enttäuscht waren, wenn er ihnen leibhaftig gegenüberstand.
Andererseits gab es kaum einen Zweifel, dass er es war. Er war praktisch der einzige Gast, der allein an einem Tisch saß, und er war der Einzige, der auf einem Laptop tippte. Der ganze Tisch war mit Papieren übersät, und auf dem Stuhl neben ihm stand ein Aktenkoffer.
Er sah recht jung aus, Ende zwanzig oder Anfang dreißig, und er trug ein blaues Hemd unter einem schwarzen Armani-Blouson. Sie konnte sehen, dass er einen ziemlichen Bierbauch hatte, der gegen die Tischkante drückte. Der Mann hatte sein braunes Haar mit Gel oder Festiger zurückgekämmt, und er trug eine unvorteilhafte Brille mit eckigen Gläsern. Irgendetwas an der steifen, fast hölzernen Art, mit der er sich über seinen Laptop beugte, erinnerte sie an diese Puppe aus einer Fernsehserie der Sechzigerjahre. Wie hieß sie noch mal?
Sie räusperte sich, als sie seinen Tisch erreichte. Er zeigte keine Reaktion, sondern tippte einfach weiter, als sei es ihm schlichtweg unmöglich, seine Arbeit zu unterbrechen. Sie wartete und beschloss, bis fünf zu zählen und dann auf dem Absatz kehrtzumachen.
Sie war bei drei, als er aufblickte. Er schien überrascht, als hätte er nicht ernsthaft damit gerechnet, dass sie kommen würde. »Miss Trent? Ich bin Guy Fisher. Nehmen Sie Platz.« Seine wulstigen Lippen formten sich zu einem
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