Amok: Thriller (German Edition)
nicht am Verlassen des Lokals hindern. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
Er lächelte wieder, gerade so, als hätte er ihr eben das Programm für einen perfekten Abend zu zweit unterbreitet.
»Ja«, stieß sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Prima. Wir werden jetzt aufstehen wie zwei gute Freunde und ohne ein weiteres Wort von hier verschwinden. Diese alte Dame und ihre entzückende Familie sollen doch das große Ereignis in guter Erinnerung behalten.« Er feixte. »Einverstanden?«
Julia sagte nichts. Sie zwang sich, seinen Blick zu erwidern, und nickte.
»Brav.« Er sah sich kurz um, klappte seinen Aktenkoffer zu und stellte ihn auf den Tisch. Keine Hast. Kein hektisches Getue. Ihr fiel auf, dass seine Stimme die ganze Zeit über unbewegt geblieben war. Keinerlei Gefühlsregung, auch nicht, als er davon gesprochen hatte, einem Kind ins Gesicht zu schießen.
»Die Pistole wird von dem Koffer verdeckt sein«, sagte er ruhig, »aber ich werde sie weiterhin in der Hand halten. Vergessen Sie das nicht. Und kommen Sie nicht auf die Idee, die Heldin spielen zu wollen.«
Er stand auf und steuerte sie in Richtung Ausgang. Sie hatte das Gefühl, unter Hypnose zu stehen. Ihr Körper schien direkt auf seine Kommandos zu reagieren, ohne bewusste Beteiligung ihres Gehirns. Ihr Gang war wie der eines Roboters, ihre Bewegungen steif und unnatürlich. Irgendjemand muss doch etwas merken, dachte sie. Irgendjemand wird uns bestimmt aufhalten.
Aber niemand tat es.
Er führte sie über den Parkplatz zu einem silberfarbenen Renault Laguna. Offenbar hatte er die Fernbedienung am Schlüsselanhänger betätigt, denn die Lichter blitzten kurz auf, und es piepte, als die Zentralverriegelung sich öffnete.
»Nach hinten!«, rief er. Er musste fast schreien, damit sie ihn bei dem Sturm hören konnte. In einer Ecke des Parkplatzes war ein Teil der Zaunverkleidung umgeweht worden, und jetzt zerrte der Wind an den losen Latten und drohte sie herauszureißen. Julia hatte eine Sekunde Zeit, sich zu überlegen, ob sie einen Fluchtversuch wagen sollte – doch da spürte sie bereits, wie er von hinten gegen sie stieß, und wusste, dass sie es niemals schaffen würde, ihn abzuhängen.
Sie war immer noch wie benommen und konnte nicht glauben, was ihr geschah, doch das erwies sich letztlich als vorteilhaft. Es hielt die allerschlimmste Panik in Schach und half ihr, einen klaren Gedanken zu fassen. Wenn sie schon nicht davonlaufen konnte, was konnte sie dann tun?
Er hatte sie ihre Jacke anziehen lassen, doch der Regen klatschte auf ihre Haare, und das Wasser rann ihr in den Nacken. Sie hatte ihre Handtasche über die Schulter geschlungen. Es war keine große und auch keine besonders teure Tasche. Ein schlichtes Rechteck aus schwarzem Leder, vor ein paar Jahren für dreißig oder vierzig Euro in einem Griechenlandurlaub erstanden. Elegant, kompakt und unauffällig.
Und in diesem Augenblick das Kostbarste, was sie besaß.
Er wies sie an, sich hinter das Auto zu stellen, während er die Tür öffnete und den Aktenkoffer auf die Rückbank warf. Dann klappte er den Kofferraum auf und deutete darauf.
»Rein mit dir.«
Julia protestierte nicht. Hinterher fragte sie sich, ob sie es vielleicht besser getan hätte. Vielleicht wäre er dann weniger misstrauisch gewesen.
Stattdessen befolgte sie seine Anweisung zügig und ohne Widerrede. Sie kletterte ohne Hilfe in den Kofferraum, legte sich auf die Seite und zog die Beine an. Ihre Handtasche hatte sie irgendwie unter sich eingeklemmt, sodass er sie nicht sehen konnte.
»Angenehme Reise«, sagte er und schlug den Kofferraumdeckel mit einem dumpfen Knall zu.
Sobald der Deckel ins Schloss gefallen war, wand Julia sich so lange hin und her, bis sie ihre Handtasche zu fassen bekam und sie unter ihrem Körper hervorziehen konnte. Sie war von völliger Dunkelheit umgeben. Der Kofferraum roch nach chemischem Reiniger. Über ihr trommelte der Regen auf die Karosserie herab.
Sie begab sich wieder in die Embryonalstellung und hielt die Handtasche in beiden Händen. Dann tastete sie nach dem Riemen und stellte die Tasche aufrecht, ehe sie den Reißverschluss öffnete. Sie schob die Hand hinein und befühlte sorgfältig den Inhalt, bis ihre Finger sich um einen kleinen, glatten Gegenstand schlossen, der wunderbar schwer in ihrer Hand lag. Ihr Handy.
Der Killer öffnete gerade die Fahrertür, als er ein Vibrieren in der Tasche spürte. Es war das Telefon, das er Vilner abgenommen
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