Amok: Thriller (German Edition)
nichts wisse.
Die vierte war eine Schottin namens Sheila Naughton. Sie gab zu, dass Alice Jones mit einer Exklusivstory über das Massaker von Chilton zu ihr gekommen war. Bevor sie ihn um einen Kommentar bitten konnte, kam ihr Craig mit einer eigenen Frage zuvor.
»Haben Sie mit Julia Trent darüber gesprochen?«
Naughton schien verblüfft, doch sie bejahte die Frage. »Ich habe heute Nachmittag kurz mit ihr gesprochen.«
»Sie haben kein Treffen mit ihr vereinbart oder einen Kollegen hingeschickt?«
»Nein. Sie hat einfach den Hörer aufgelegt.« Ihre Verärgerung schlug rasch in Neugier um. »Wieso fragen Sie?«
»Es ist nicht wichtig«, erwiderte Craig und beendete das Gespräch.
Aber es war wichtig. Es bedeutete, dass der Mann, mit dem Julia sich heute Abend traf, kein Journalist war.
Nina, die in der anderen Zimmerecke stand, strahlte Anspannung und Feindseligkeit aus; alle Gedanken an Versöhnung waren offenbar längst vergessen. »Und?«
»Julia ist verschwunden. Ich muss sie finden.«
Nina schüttelte den Kopf, als hätte Craig sich einer fatalen Fehleinschätzung schuldig gemacht. »Ich habe ihr gesagt, sie soll sich aus unserem Leben raushalten. Vielleicht hat sie -«
Craig fiel ihr ins Wort. »Du hast was ?«
Nina warf verzweifelt die Hände in die Luft. »Sie ist das Problem, Craig. Sie hat dich mit dieser lächerlichen fixen Idee angestachelt. Ich gebe dir eine Chance, unsere Beziehung zu kitten, und du hast nichts anderes im Kopf, als mitten in der Nacht loszufahren, um dieses verdammte Weib zu finden.«
Craig verschlug es fast den Atem, so geschockt war er. Es dauerte einige Sekunden, bis er die Sprache wiederfand. »Wann? Wann hast du ihr das gesagt?«
Nina errötete; sie spürte, dass sie jetzt in der Defensive war. »Heute Morgen. Sie rief an, nachdem du gegangen warst.«
Craig starrte sie einen Moment lang an, mit einem Blick, in dem seine ganze abgrundtiefe Enttäuschung lag, und ging dann hinaus in den Flur. Nina folgte ihm und blieb zögernd in der Tür stehen. Sie sah zu, wie er seine Jacke anzog, und in ihren Augen schimmerten Tränen.
»Ich glaube, dass du überreagierst«, sagte sie. »Sie wird schon wieder auftauchen.«
»Ja, bestimmt«, gab Craig zurück. »Vielleicht so, wie auch Abby Clark wieder aufgetaucht ist. Als Leiche.«
Er stürmte hinaus und schlug die Haustür hinter sich zu.
Langsam lichtete sich der Nebel in Julias Kopf. Die Hitze vom Auspuff wurde allmählich schmerzhaft und zwang sie, sich noch enger zusammenzurollen. Außer dem Regen, der auf die Karosserie trommelte, dem Zischen der Reifen auf dem nassen Asphalt und dem dumpfen Dröhnen des Verkehrs konnte sie kaum etwas hören.
In der Dunkelheit versuchte sie herauszufinden, wie schwer ihre Verletzung war. Sie hatte eine Platzwunde direkt über dem rechten Ohr. Nicht sehr tief, soweit sie das beurteilen konnte, auch wenn ihre Haare von getrocknetem Blut ganz verfilzt waren. Sie hatte heftige Kopfschmerzen, aber abgesehen davon fühlte sie sich okay.
Erbittert grübelte sie darüber nach, wie sie sich hatte täuschen lassen. Am Telefon hatte er so glaubwürdig geklungen. Was er über Alice gesagt hatte – dass sie sich an die Presse gewandt habe -, klang absolut einleuchtend nach dem, was sie von Alice selbst erfahren hatte. Und die andere Anruferin, diese Schottin, hatte es auch erwähnt.
Dieser Teil musste der Wahrheit entsprechen, schloss Julia. Alice hatte sich wirklich an eine Zeitung gewandt, wahrscheinlich an die, für die diese Schottin arbeitete, und irgendwie war der Mörder an die Information gelangt. Es war vielleicht nur ein dummer Zufall, dass er sie vor der echten Journalistin erreicht hatte.
Sie fluchte. Wenn sie zuerst mit der Frau gesprochen hätte, dann wäre sie jetzt nicht in dieser misslichen Lage. Nachdem sie ihm in Kates Pension und später im Haus ihrer Eltern noch knapp entkommen war, hatte er sie jetzt doch erwischt. Aber wer war er?
Nicht James Vilner. Da hatten sie und Craig sich geirrt. Sie fragte sich, wie oft sie noch danebengelegen hatten. Dann dachte sie an Craig. Hätte Nina sie an diesem Morgen nicht so angefahren, dann hätte sie ihn wahrscheinlich gebeten, sie heute Abend zu begleiten. Und dann … was?
Aber diese Spekulationen führten zu nichts. Es war nun einmal passiert, und sie musste sich der Situation stellen. Sie versuchte, den Mut wiederzufinden, der sie am 19. Januar beseelt hatte. Jede Sekunde, die sie am Leben blieb, war ein kleiner Sieg. War
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