Amok: Thriller (German Edition)
klatschnasse Haare klebten ihm am Kopf, an seinen Schuhen hing der Schlamm in Klumpen, doch seine Augen waren hellwach wie die eines Raubtiers, das seine Beute anvisierte. Er strömte einen Geruch nach Blut und Tod aus, der die Luft aus dem Zimmer zu verdrängen schien und Craig aller Gedanken beraubte bis auf den einen: Julia ist tot.
»Wo ist sie?«, schrie er. Es war eine instinktive Reaktion, doch er erreichte damit, was er bezweckte. Toby verriet sich, als seine Augen sich zu Schlitzen verengten. Im gleichen Moment durchschnitten blendend helle Lichtbalken das Zimmer.
Craig warf sich auf Toby. Er hörte Vanessa rufen: »Lauf!«, und als er an ihr vorbeikam, traf ihn ein Schlag am Oberschenkel, so heftig, dass er die Kräfte einer todkranken alten Frau weit zu übersteigen schien. Jetzt reagierte Toby auf die Aufforderung seiner Tante und drehte sich um. Craig versuchte ihm nachzusetzen, doch sein rechtes Bein knickte weg, und er krachte gegen einen kleinen Tisch. Als er nach unten schaute, sah er Blut aus einem Schlitz in seinem Hosenbein fließen. Aus dem Augenwinkel registrierte er, wie Vanessa sich auf ihn stürzte, und konnte gerade noch ausweichen, ehe das Messer ein zweites Mal niedersauste.
George schrie auf und sprang auf Vanessa zu, um sie aufzuhalten, doch sie sank schon wieder auf ihren Stuhl zurück. Ihre dürre, zitternde Hand umklammerte ein Teppichmesser. Craig hielt sich das Bein und nahm nur verschwommen war, wie eine Tür hinter dem flüchtenden Toby ins Schloss fiel. Unmittelbar darauf war an der Haustür ein lautes, hartnäckiges Pochen zu vernehmen.
Die Polizei , dachte er. Gott sei Dank, die Polizei ist hier.
73
Die Verzweiflung zwang sie zu einem Kompromiss. Wenn sie es nicht schaffte, die Hände vor den Körper zu bringen, dann musste sie sie eben lassen, wo sie waren. Das hieß noch nicht, dass sie nichts mit ihnen anfangen konnte.
Sie bekam den Gürtel zu fassen, und dann blieb sie reglos liegen und dachte über das Problem nach. Mit den Händen in dieser Position konnte sie den Körper nicht strecken. Also hatte es auch wenig Sinn, wenn sie aufzustehen versuchte. Aber indem sie auf dem Rücken liegend hin und her schaukelte, konnte sie genug Schwung holen, um sich in eine sitzende Haltung zu manövrieren.
Jetzt konnte sie ihre Hände zwischen den Knien immerhin sehen. In dieser Position gelang es ihr, die Gürtelschnalle so einzuklemmen, dass sie damit das Klebeband um ihre Fußgelenke bearbeiten konnte. Sie zielte mit dem Dorn auf die Mitte des Bands und drückte nach unten. Das Band spannte sich, hielt aber.
Sie drückte fester. Das Band spannte sich weiter, sie spürte seinen Widerstand – und dann riss es. Der Dorn bohrte sich durch.
Sie benutzte die Schnalle mit dem Dorn wie ein Messer und zog sie nach oben, um das Band aufzuschlitzen. Nachdem sie es zur Hälfte durchtrennt hatte, ließ sich der Rest leicht abziehen. Ihre Füße waren frei. Verblüfft starrte sie sie an. Sie konnte noch nicht recht glauben, dass sie es geschafft hatte.
Aber es blieb keine Zeit, sich über ihren Erfolg zu freuen. Sie schob erst den einen, dann den anderen Fuß durch ihre gefesselten Arme. Jetzt hatte sie die Hände vor dem Körper. Sie setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und klemmte die Gürtelschnalle zwischen den Füßen ein, wobei sie ihre Zehen benutzte, um den Dorn senkrecht zu halten.
Sie arbeitete hochkonzentriert. Schmerzen und Angst traten in den Hintergrund, und ihre ganze Aufmerksamkeit war nur noch auf die Aufgabe gerichtet, die sie zu bewältigen hatte. Sie dachte nicht mehr an Überleben, Freiheit oder Flucht, und sie vergaß sogar die Zeit. Alles, was zählte, war dieser Moment.
Es war nicht die Polizei.
Während George zur Tür ging, streckte Craig sein Bein aus und untersuchte die Wunde. Der Schnitt war sieben oder acht Zentimeter lang, aber nicht sehr tief. Er riss seine Jeans noch weiter auf und drückte die Hand auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen. Dabei spürte er Vanessas hasserfüllten Blick im Nacken.
»Warum haben Sie ihm geholfen?«, fragte Craig sie.
»Verpiss dich!«, fauchte sie.
George trat wieder ins Zimmer, eingezwängt zwischen zwei hünenhaften Männern in schwarzen Jacken. Weitere Männer folgten ihnen und verbreiteten eine Atmosphäre von Aggressivität und Testosteron. Es waren insgesamt sechs, und ihr Anführer hob sich nicht so sehr durch sein exotisches Aussehen und seine schmächtigere Gestalt ab, sondern vielmehr durch
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