Amok: Thriller (German Edition)
hat einen Amoklauf gegeben. In Chilton.«
Erschrockenes Luftholen, gefolgt von einer merkwürdig geschäftigen Stille.
»Wer ist da bei dir?«
»Niemand. Hast du schon mit deinem Vater gesprochen?«
»Ich kann ihn nicht erreichen.«
Aus dem Augenwinkel sah er im Rückspiegel ein blaues Licht aufblitzen. Er steuerte den Wagen nach links, um die Überholspur freizugeben. Ein Konvoi von sechs Fahrzeugen raste vorbei: Polizeiwagen und technische Hilfseinheiten. Und dann war da noch ein schwarzer Transit, dessen Funktion nicht sofort ersichtlich war. Dann begriff er: Es war ein Leichenwagen.
»Craig? Du fährst doch nicht etwa hin? Wäre es nicht besser, die Polizei anzurufen?«
Er lachte wieder und beendete das Gespräch, bevor er etwas sagen konnte, was ihm hinterher leidtun würde.
Der Verkehrsfunk warnte vor langen Staus in der Region. Besonders hervorgehoben wurden die A272 um Haywards Heath herum sowie die A273 in Richtung Brighton. Das waren die Hauptstrecken, auf denen die Verletzten in die Krankenhäuser transportiert wurden und die Fahrzeuge von Polizei, Rechtsmedizin und Spurensicherung nach Chilton gelangten.
Craig blieb bis Albourne auf der A23. Das lag zwar schon ein Stück südlich des Dorfs, doch so würde er weniger Zeit auf langsameren, einspurigen Straßen verbringen müssen. Durch Hurstpierpoint kam er nur mühsam voran, aber nachdem er die Nachbarstadt Hassocks erreicht hatte, konnte er auf Schleichwegen die B2112 erreichen. Er bog nach Norden ab, sodass er die Downs im Rücken hatte, und steckte wenig später in einer Fahrzeugkolonne fest, die nur im Schritttempo vorankam.
Für die nächste Meile brauchte er fast fünfzehn Minuten. Aus der anderen Richtung kam so gut wie nichts. Craig war schwer versucht, einfach auszuscheren und zu überholen, bis der Fahrer hinter ihm genau das tat, worauf ihm prompt ein Krankenwagen mit Polizeieskorte entgegenkam.
Craig war noch etwa eine halbe Meile von der Abzweigung nach Chilton entfernt, als die ganze Kolonne abrupt zum Stehen kam. Er konnte sehen, wie die Autos an der Spitze der Schlange auf den Randstreifen fuhren. Inzwischen hatte der ganze Durchgangsverkehr aufgegeben und kehrtgemacht. Alle, die geblieben waren, hatten nur ein gemeinsames Ziel.
Erst als Craig ausstieg und zu Fuß weiterging, wurde ihm die Dimension des Geschehens wirklich bewusst. Die Straße vor ihm wimmelte von Menschen, die ihre Autos stehengelassen hatten und in Richtung Chilton stapften. Der Anblick erinnerte ihn an große Freiluft-Events, ein Rockfestival oder die South of England Show im nahen Ardingly, nur mit einem gewaltigen Unterschied: Die Stimmung war alles andere als fröhlich und ausgelassen. Von Aufregung und freudiger Erwartung keine Spur. Nur bedrücktes Schweigen und eine Atmosphäre unverhohlener Furcht; die Mienen der Menschen stumpf vor Schock und Sorge. Zögerliche Blickkontakte, begleitet von verlegenem Lächeln. Niemand mochte den anderen fragen, was ihn herführte, weil niemand mit der Antwort konfrontiert werden wollte. Sie waren alle aus dem gleichen Grund hier.
Sie waren gekommen, um herauszufinden, ob ihre Freunde und Angehörigen noch am Leben waren.
Er erklomm eine kleine Anhöhe und sah, was den Verkehr zum Erliegen gebracht hatte. Direkt südlich der Abzweigung nach Chilton war eine Straßensperre errichtet worden und nördlich davon eine zweite. In beiden Richtungen bot sich das gleiche Bild: kreuz und quer parkende Autos und Scharen von Menschen, die mit ernsten Mienen auf die Polizeiabsperrung zuhielten.
Auf einer großen Wiese, die an die Abzweigung grenzte, waren zahlreiche Uniformierte und andere Helfer damit beschäftigt, Zelte und Tische aufzubauen, offenbar für eine längerfristige Operation. Ein Imbisswagen machte gute Geschäfte, und von einem Lastwagen wurden gerade Toilettenkabinen entladen.
Ein Krankenwagen kam über den Chilton Way herangerast und bremste an der Abzweigung kurz ab. Polizisten und zivile Helfer in orangefarbenen Jacken hielten die andrängenden Menschen zurück. Einige in der Menge brachen beim Anblick des Krankenwagens in Schreien und Wehklagen aus. Eine Gruppe von Schaulustigen drängte sich nach vorne und begann sowohl den Krankenwagen als auch die erschütternden Reaktionen darauf zu fotografieren. Unter parkenden Fahrzeugen entdeckte Craig auch Satelliten-Übertragungswagen des Fernsehens – die Medien waren bereits in großer Zahl angerückt.
Ihm kam der Gedanke, dass Nina wohl recht hatte. Er
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