Amok: Thriller (German Edition)
ein bisschen was getrunken hast und dich einsam fühlst?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Wenn du mir nicht vertrauen kannst, dann sag es ruhig. Dann machen wir die Trennung eben endgültig.«
Sie saßen allein in der Küche; Tom und Maddie spielten oben in ihren Zimmern. Sie hatten den Kindern gesagt, dass Craig eine Weile in Opas Haus wohnen müsse, dass er sie aber regelmäßig besuchen würde. Tom schien mit dieser Erklärung ganz zufrieden zu sein, aber als es dann Zeit war, sich zu verabschieden, hängte Maddie sich an ihn und fing an zu heulen.
»Ich will nicht, dass du weggehst. Bitte, Papa!«
Mit erstickter Stimme sagte Craig: »Es ist ja nicht für lange. Nur, bis ich alles geregelt habe.« Sein Blick ging zu Nina, doch sie schaute rasch weg.
»Aber Opa ist da gestorben«, sagte Maddie. Sie klammerte sich an ihn, drückte ihr Gesicht so fest an seine Brust, dass ihre nächsten Worte nur ein unverständliches Genuschel waren.
Craig hob sie hoch und sah ihr in die Augen. »Was hast du gesagt, Schatz?«
»Ich hab Angst, Papa«, sagte sie. »Was ist, wenn du da auch stirbst?«
Ihre Frage ging ihm auf der Fahrt nach Chilton immer wieder durch den Kopf. Schon kamen ihm Zweifel, ob es wirklich eine gute Idee wäre, sich dort niederzulassen. Aber seine Zukunft war ungewiss, und solange seine freiberufliche Tätigkeit auf Eis lag, konnte er es nicht verantworten, sich ein Hotelzimmer zu nehmen, während das Haus seines Vaters leer stand.
Sein ungutes Gefühl verstärkte sich noch, als er von der B2112 abbog. An der Abzweigung zum Chilton Way parkte ein einzelner Polizeitransporter, das Gras rings um den Wagen in den Matsch getrampelt. Überall entlang der Zufahrtsstraße parkten Autos, und am unteren Ende der High Street musste er für einen Bus bremsen, der umständlich um die Kurve manövrierte. Er war voll besetzt, und der Fahrer sah missmutig drein. Was zum Teufel ging hier vor?
Die Antwort wurde ihm klar, als er am Laden vorbeifuhr. Im Dorf wimmelte es von Touristen, die alles begafften und mit Fingern auf die Häuser, die Kirche und das Pub zeigten. Eine große Menschentraube stand um den Baum herum und starrte auf einen bestimmten Punkt im Gras. Eine fürchterliche Sekunde lang fragte sich Craig, ob bei den polizeilichen Ermittlungen etwas übersehen worden war – ein Blutspritzer oder ein Knochensplitter. Dann erkannte er, dass die Blicke der Leute auf die Blumensträuße gerichtet waren, die dort zum Gedenken an die Toten abgelegt worden waren.
Er sah sich gezwungen, im Schritttempo weiterzufahren, weil immer wieder vor ihm Fußgänger achtlos die Straße überquerten, als sei er gar nicht vorhanden. Alle hatten Fotoapparate dabei, manche auch Videokameras. Er sah ein Paar, das sich gemeinsam mühte, eine Zeitung glatt zu streichen, um ein Foto des Dorfs mit dem echten Schauplatz zu vergleichen.
Er traute seinen Augen kaum, als er noch einen zweiten Bus vor der Kirche parken sah und wieder Scharen von Schaulustigen, die die Hurst Lande entlangtrotteten, stupide und abgestumpft wie Vieh. Das Haus seines Vaters stand an der Ecke, und die Zufahrt zur Garage dahinter lag an der Hurst Lane. Noch bevor er abgebogen war, registrierte er eine Bewegung hinter der Hecke zu seiner Linken.
Da war jemand im Garten.
Er trat auf die Bremse und sprang aus dem Wagen, womit er mäßig interessierte Blicke der Umstehenden auf sich zog. Das Gartentor seines Vaters war offen. Dahinter stand ein untersetzter Mann und schoss mit einer raffinierten kleinen Digitalkamera Fotos von der Haustür.
»Was tun Sie da?«, fragte Craig mit einer Gelassenheit, die ihn selbst überraschte.
Der Mann ignorierte ihn, bis er sein Foto im Kasten hatte, und drehte sich dann zu ihm um. Er war vielleicht sechzig, mit strähnigen grauen Haaren und schlechten Zähnen. Dass Craig ihn zur Rede stellte, schien ihn nicht sonderlich zu beeindrucken.
»Da im Hauseingang is‘einer gestorben«, vertraute er ihm an.
»Ach, tatsächlich?«
»Zu blöd, dass kein Blut mehr zu sehen ist, aber das lässt sich schnell beheben.« Der Mann zwinkerte verschwörerisch. »Photoshop. Auf die Weise kann man mehr dafür verlangen.«
»Sie verkaufen die Fotos?«
»Abzüge in Zehnersets, limitierte Auflage«, erklärte er stolz. »Im Internet gibt‘s’nen großen Markt für so was.«
Craig nickte, scheinbar beeindruckt. »Das werde ich mir merken. Vielleicht kann ich ja den Teppich im Hausflur zerschneiden und die Stücke verkaufen.«
Die Miene
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