Amok: Thriller (German Edition)
Schlafzimmer war ein kleiner Fitnessraum. Er trainierte zwanzig Minuten an den Geräten und joggte dann ein wenig, eine Meile hin und zurück auf der exklusiven Privatstraße. Zwei aus dem Team begleiteten ihn; mindestens einer war immer bewaffnet. Wahrscheinlich unnötig, aber auch das war eine alte Gewohnheit, mit der zu brechen ihm schwerfiel.
Als er die Strecke zurücklief, erwachte die Nachbarschaft allmählich zum Leben. Mit einem Nicken begrüßte Kendrick einen Profi-Golfer und den Vorstandsvorsitzenden eines börsennotierten Konzerns, während er die Scharen geisterhafter Osteuropäer ignorierte, die für sie kochten und putzten. Es amüsierte ihn festzustellen, wie reibungslos er den Übergang zur herrschenden Klasse der Ersten Welt vollzogen hatte.
Er fand das Laufen nützlich. Irgendwie half ihm der hämmernde Rhythmus der Schritte beim Nachdenken. Als Geschäftsmann war er ein Naturtalent, aber er war sich seiner unzureichenden Schulbildung sehr wohl bewusst. Den Mangel versuchte er wettzumachen, indem er für sich in Anspruch nahm, länger und gründlicher nachzudenken als alle anderen. Vorbereitung, das war seine Losung. Wer alles weiß, kann von niemandem ausgetrickst werden.
Seine gründlichen Recherchen hatten ihn auf Toby Harmans Spielschulden aufmerksam werden lassen, und sie hatten ihn zu James Vilner geführt. Er wusste, wie wütend George Matheson gewesen war, als Vilner zu Kendricks Mittelsmann ernannt worden war, aber George konnte herzlich wenig dagegen ausrichten. Umso pikanter war es, dass er heute um Vilners Beistand ersucht hatte. Matheson traf sich mit dem Sohn des toten Aktivisten, Craig Walker, und er wollte Vilner dabeihaben. Gründe hatte er keine genannt.
Als Kendrick ins Haus zurückkam, saß Jacques in der Küche, vor sich eine große Tasse frisch gebrühten schwarzen Kaffee. Jacques hasste Laufen, wie überhaupt jede Form körperlicher Anstrengung. Er blieb dünn, weil er sich nichts aus gutem Essen oder Alkohol machte. Überhaupt hatte er keinerlei Laster – außer Töten.
Sie hatten sich im August 1997 kennengelernt. Damals war Kendrick einer von zehn Gefangenen gewesen, die wegen besonders hoher Fluchtgefahr nach Tortola auf den Britischen Jungferninseln verlegt wurden. Er sollte dort den Rest einer Haftstrafe wegen schweren Einbruchdiebstahls absitzen. Das Gefängnis von Montserrat hatte wegen der Vulkanausbrüche aufgegeben werden müssen, die auch die Hauptstadt Plymouth verwüstet hatten.
Da hatte eine noch folgenreichere Begegnung bereits stattgefunden – eine Begegnung, die Kendricks Leben von Grund auf verändern sollte. Es war Jacques, der das Potenzial des Plans rasch erkannt hatte und ihm riet, seine Ziele noch höher zu stecken. Von da an hatte er ihm als treuer Adjutant gedient. Es war Jacques, der ihm bereitwillig geholfen hatte, sämtliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Und es war Jacques, der als Einziger seine wahre Identität kannte.
»Na, erfrischt vom Laufen?«, spottete der kleine Mann.
»Das werde ich sein, wenn ich geduscht habe.«
»Shari war hier unten und hat nach dir gefragt.«
Kendricks Miene verriet Unmut. »Wieso?«
Jacques antwortete mit einer scheußlichen Falsettstimme: »›Warum bringt er mich den weiten Weg nach England, wenn er mich gar nicht sehen oder mit mir zusammen sein will?‹«
»Das hat sie gesagt?«
»Das ist es, was ich verstanden habe. Sie war ganz verheult und hat nur geflüstert.« Jacques lächelte. »Sie hat Angst vor mir.«
»Zu Recht«, brummte Kendrick. Er dachte eine Weile nach, während er sich einen Grapefruitsaft aus dem großen amerikanischen Kühlschrank nahm. Jacques wartete wie ein treuer Hund. Es fehlte nur noch, dass er hechelte.
»Es wird Zeit, dass sie verschwindet«, sagte Kendrick schließlich. »Ich kann diese Ablenkung nicht gebrauchen.«
»Hier gibt‘s auch reichlich Frauen, falls du eine brauchst.« Jacques schien für die Vorstellung nur leise Verachtung übrig zu haben.
»Das ist nur deine unterdrückte Homosexualität, die da aus dir spricht«, sagte Kendrick.
Jacques lachte unfroh. »Dann überbringe ich ihr also die Neuigkeit?«
»Nicht nötig. Lass einfach irgendwen ihren Koffer packen, steck sie in ein Auto und schick sie zurück.«
»Lebend?«
Zu spät – Kendrick hatte den Karton schon an die Lippen gesetzt. Er prustete, und der Saft rann ihm aus der Nase.
»Ja, lebend.« Lachend wischte er sich den Mund ab. »Wenn ich sie tot haben wollte, hätte ich es wohl
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