Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amok: Thriller (German Edition)

Amok: Thriller (German Edition)

Titel: Amok: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Bale
Vom Netzwerk:
ihren Fingern fühlte sie sich mutiger, als es ihr eigentlich zustand. Als sie den Baumstamm erreichte, hielt sie einen Moment inne. Sie strich mit der Hand über die glatte Rinde, und der Baum reagierte, ein Wonneschauer ließ ihn erzittern, und er warf den Eindringling ab, der es gewagt hatte, sich in seinen Armen zu verbergen.
    Der Mann in Schwarz stürzte von den oberen Ästen herab und landete auf dem Rücken. Er blieb reglos liegen, doch sie konnte sehen, dass sein Brustkorb sich hob und senkte. Sein Kopf war von dem schwarzen Helm umschlossen.
    Dann wechselte plötzlich die Perspektive, und sie sah sich selbst aus einiger Entfernung, wie sie sich langsam bückte und das Visier hochschob. Sie hielt erschrocken die Luft an und trat einen Schritt zurück, und dann war sie wieder in ihrem eigenen Körper, erschüttert von einer furchtbaren Erkenntnis.
    Sie hatte sein Gesicht gesehen. Sie wusste, wer er war.
    Der erste Schlag kam sogar für sie selbst überraschend. Er zerschmetterte sein Visier, Plastiksplitter flogen über den Strand, vermischt mit Knochensplittern, und ein feiner Regen von Blutstropfen spritzte an ihre Beine. Der Mann stieß einen gurgelnden Schrei aus. Julia packte das Brecheisen fester, nahm es in beide Hände und ließ es mit aller Kraft niederfahren, immer und immer wieder.
    Es ging noch weiter, als er längst tot war. Sie hörte nicht auf, bis jeder Knochen zertrümmert war, jedes Organ zu Brei geschlagen, jeder Zentimeter seines Körpers zu einer teigigen Masse geprügelt. Blut und Sand klebten an ihren Beinen wie Sirup.
    Dann hielt sie inne. Ließ das blutverschmierte Brecheisen fallen und stand schwer atmend da. Ihre Muskeln vibrierten vor Energie. Sie hörte die Wellen, die schmatzend den Sand aufwirbelten. Sie waren näher gekommen, und bald würde die Flut diese Abscheulichkeit hinwegspülen, und wenn das Wasser sich zurückzog, würde die Welt wieder rein sein. Und sicher.
    Sie blickte auf und sah ihre Eltern, die sie von einem Fenster im Obergeschoss der Pension beobachteten. Die traurigen, ernsten Gesichter von Geistern. In ihren Augen hatte sie sich zu einer Brutalität hinreißen lassen, mit der sie sich auf eine Stufe mit dem Mörder stellte. Die Art, wie ihr Vater den Kopf neigte, verriet ihr deutlich, dass er sich schämte. So haben wir dich nicht erzogen.
    »Nein!«, schrie sie. Sie würde lieber sterben, als diese Missbilligung zu erleiden.
    Sie hob das Brecheisen auf und trat einige Schritte von der Leiche zurück. Der Vollmond erhellte den Strand, als sie ihre Botschaft in den Sand ritzte.
    Das bin ich nicht , schrieb sie. Ein ums andere Mal, während das Blut an ihren Beinen trocknete, während der Schweiß ihr in die Augen lief und von ihrer Nasenspitze in den Sand tropfte.
    Das bin ich nicht.
    So redete sie sich ein, dass sie es wahrmachen könnte. Sie könnte die Zeit zurückdrehen und ein anderer Mensch werden.
    Schweißgebadet wachte sie auf und sprang aus dem Bett. Sie stand regungslos mitten im Zimmer, und das Pochen ihres Herzens übertönte all die kleinen Nachtgeräusche des Hauses. Der Traum schwirrte ihr immer noch im Kopf herum; ob sie die Augen offen oder geschlossen hatte, machte keinen Unterschied. Immer sah sie nur den Körper, der unter dem Hagel von Schlägen explodierte. Und die furchtbare Scham ihrer Eltern.
    Das bin ich nicht.
    Bitte, lieber Gott.
    Das bin ich nicht.

37
     
    Max Kendrick war immer früh auf den Beinen. Auch nach über einem Jahrzehnt in Freiheit war der natürliche Tagesrhythmus für ihn immer noch der des Gefängnisses. Vielleicht unlogisch – aber wenn er im Bett liegen blieb, wurde er nie das Gefühl los, dass er irgendetwas versäumte.
    Er hatte ein großes Haus in Berkshire gemietet, mit Blick auf die Themse. Sieben Schlafzimmer und vier Bäder für zwölftausend Pfund im Monat. Nicht gerade billig, aber auf lange Sicht wahrscheinlich günstiger als ein Hotel, zumal, da er ein halbes Dutzend Leute aus seinem Team darin unterbrachte.
    Es war ein reizvolles, friedliches Fleckchen Erde. Er mochte die Nähe des Flusses, das Plätschern und Gluckern des Wassers, wenn die Ausflugsboote vorüberzogen. Er mochte die hohe Weide, die sich über den Fluss reckte, als strebte sie nach Freiheit. Im Sommer, wenn die Blütenblätter herabregneten wie Tränen, würde sie sicher einen umwerfenden Anblick bieten, aber er konnte unmöglich wissen, ob er dann noch hier sein würde. Er blieb nie allzu lange an einem Ort.
    Neben dem großen

Weitere Kostenlose Bücher