Amokspiel
Stufen hinter ihm. »Der Geiselnehmer heißt May. Jan May. Mit a - y.« Ira schnaubte. Einmal weil sie außer Atem war. Zum anderen, weil sie Diesel dadurch unauffällig zum Weiterreden auffordern wollte.
»Ich könnte jetzt sagen, dass ich den Polizeicomputer geknackt habe oder über seherische Fähigkeiten verfüge. Aber die Wahrheit ist wie immer viel simpler. Ich hab mir unsere Hörerkartei vorgenommen. Eigentlich, um die Geiseln zu überprüfen. Leider hat mich Ihr Freund Götz dabei erwischt. Zuerst dachte ich, er will mich vierteilen. Doch dann zeigte ich ihm, was ich gefunden habe. Halten Sie sich fest: Unser Täter ist registriert. In unserer Datenbank. Ich selbst habe ihn letztes Jahr in das System eingegeben. May schrieb mir damals kurz vor Weihnachten eine E-Mail. Ich hab mich nicht gleich daran erinnert, doch als Jan zum ersten Mal den Namen von seiner Braut nannte, wusste ich es wieder.« Ira schnaubte nochmals. Diesmal noch lauter. »Auf meine Antwortmail hin rief May mich an, und wir verabredeten uns in einem Café. Er wollte mich überzeugen, eine Vermisstenmeldung für Leoni über unseren Sender zu jagen. Timber persönlich war dagegen, weil ...«
»Geht's noch schneller?«, fragte Ira ironisch und versteckte kurz das Handy hinter ihrem Rücken, denn Steuer drehte sich um und zeigte ihr den Mittelfinger. Aber Diesel hatte verstanden und fasste die Fakten jetzt gestraffter zusammen.
»Okay, zu May selbst: Er ist siebenunddreißig Jahre alt, stammt aus gutbürgerlichen Verhältnissen, ist gebürtiger Berliner und hat das Psychologiestudium an der Freien Universität im Schnelldurchlauf als Jahrgangsbester absolviert. Danach folgten seine Promotion, seine Anstellung an der Charité. Bereits mit Ende zwanzig hatte er seine eigene Praxis am Ku'damm. Er ist unverheiratet, kinderlos, seit acht Monaten völlig neben der Spur. Hat ein Strafverfahren an der Backe, das ihn die Zulassung kostete. Hat eine ehemalige Patientin geb... äh, belästigt. Kokain war wohl auch im Spiel. Das steht natürlich nicht alles in unserer Kartei, aber ich hab unsere Nachrichtendatenbanken nach ihm durchforstet. Er behandelt übrigens nicht nur simplen Gehirnhusten, sondern ist ein Vollprofi. Hat seine Doktorarbeit über psychologische Verhandlungsmethoden geschrieben. Er kennt alle Tricks.«
»Mist«, keuchte Ira, und Steuer vor ihr nickte, weil er es auf die restlichen Stufen bezog, die sie noch zu bewältigen hatten.
»Doch da ist noch was, das Sie wissen sollten, wo immer Sie gerade stecken.«
»Was?«, flüsterte Ira. Noch wenige Schritte, dann würde sie oben angekommen sein und müsste auflegen.
»Da stimmt was nicht mit den Geiseln.«
»Ich kann nicht mehr«, keuchte Ira und dachte an Kitty.
Steuer winkte verächtlich ab, aber Diesel hatte wieder verstanden.
»Gut, ich sag's Ihnen später. Götz hat mich gebeten, ihm zu helfen und .«
Ira konnte nicht länger zuhören und drückte das Gespräch weg. Sie waren oben angelangt, und in ihrem Kopf ging es zu wie auf der Stadtautobahn am Freitagnachmittag. Daran konnte auch der kräftig frische Wind nichts ändern, der sie auf dem Dach empfing. Unzählige Gedanken schossen hindurch, und einige davon versuchten, sich selbst zu überholen: Warum fehlte in dem Obduktionsbericht der Hinweis auf die Schwangerschaft von Leoni? Was war mit den Geiseln? Warum bat Götz, der normalerweise am liebsten alleine arbeitete, ausgerechnet einen Zivilisten um Hilfe? Warum wollte Steuer sie ausgerechnet auf dem Dach sprechen? Und was zum Teufel suchte der andere große Mann hier oben, dem der Einsatzleiter gerade die Hand schüttelte - und den sie sonst nur aus dem Fernsehen kannte?
13.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte Faust, und Ira zögerte einen Augenblick, bevor sie die knochige Hand des alten Oberstaatsanwaltes ergriff. Sie standen etwas windgeschützt hinter einem kleinen Aluminiumverschlag, auf dem ein Schild in vier verschiedenen Farben vor den Gefahren der Hochspannung warnte. Er gehörte offenbar zu dem dahinterstehenden Kommunikationswald mit den drei Satellitenschüsseln und einer Antennenanlage in der Größe eines Mobilfunkmastes. »Mein Name ist .«
». Dr. Johannes Faust, ich weiß. Leiter der zuständigen Abteilung für organisierte Kriminalität«, ergänzte Ira. Dann sah sie zu Steuer, der sich gerade eine Zigarette anzünden wollte.
»Was soll das Ganze hier? Was geht hier vor?« Faust taxierte sie von oben nach unten und verzog dabei seine schmalen
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