Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
größeres und schlimmeres Lager gehabt, in Auschwitz. Ruth Irene Göth beteuerte: Es habe keine Kinder in Płaszów gegeben, nie habe sie auch nur ein Kind gesehen.
Ruth Irene Kalder behauptete auch, Amon Göth habe nur einige wenige Juden erschossen, aus «hygienischen Gründen», so Monika Göth: «Meine Mutter sagte, die Juden seien nie auf die Toilette gegangen, deshalb hätten sich Seuchen ausgebreitet. Und als der Amon mal ein paar Männer gesehen habe, die nicht auf die Toilette gingen, habe er sie erschossen.»
Monika Göth wuchs auf mit lauter Lügen. Sie war ein Kind, sie glaubte ihrer Mutter. Sätze, die man als Kind oft gesagt bekommt, setzen sich fest, sie blitzen auch später immer wieder auf, ob wir wollen oder nicht.
Monika Göth wird fast ihr halbes Leben brauchen, um die ganze Wahrheit über ihren Vater und ihre Familie herauszufinden. Sie wird anlesen und anrecherchieren gegen die Fälschungen und Halbwahrheiten in ihrem Kopf und fast wahnsinnig werden dabei.
Es kostet viel Kraft, das Lügengebäude ihrer Mutter einzureißen. Es wäre bequemer gewesen, es nicht zu tun. Denn die Geschichten, die ihre Mutter ihr erzählte, waren schöne Geschichten: Sie handelten von einem Vater, der charmant war, liebenswert und witzig – und der sich letztlich nichts zuschulden kommen ließ. Monika Göth sagte in der Rückschau: «Ich habe meinen Vater früher immer als Opfer gesehen – ein Opfer des Nationalsozialismus, ein Opfer von Hitler, ein Opfer von Himmler.»
Der Münchner Psychologe Peter Bründl sagt, jedes Kind brauche für ein gesundes Aufwachsen die Vorstellung: Ich habe gute Eltern. «Es ist furchtbar, Mörder als Eltern zu haben: Ich, Mörderkind! Deshalb akzeptieren viele das Schweigen der Eltern, und auch sie verstummen; sie fragen nicht nach, was denn da genau während des Krieges passiert ist.»
Die Generation, die in den letzten Jahren des «Dritten Reichs» und danach geboren ist, musste erfahren, dass die Eltern das Gespräch über den Nationalsozialismus verweigerten: Ob SS -Mann oder einfacher Soldat – die meisten Väter, ihre Frauen und Witwen redeten wenig oder gar nicht über die Zeit vor 1945 . Sie überließen es ihren Kindern oder später den Enkeln, die Geschichten ihrer Familien neu zu entdecken. Unter dem Deckmantel des Schweigens gediehen Legenden und Vorurteile besonders gut.
Ihre Großmutter Agnes Kalder bat Monika, still zu sein, doch die Jugendliche provozierte ihre Mutter immer wieder. Wenn Ruth Irene Göth ihrer Tochter befahl, das Bad zu putzen, rief Monika: «Ich bin nicht dein Dienstmädchen aus Płaszów!» Wenn ihre Mutter sie schlug, rief sie: «Noch eine drauf, schlag nur zu, du bist schon wie der Alte. Nicht ich bin wie er, sondern du bist wie er.»
Monika Göth war über zwanzig, als sie sich mit dem Wirt der Schwabinger Kneipe «Bungalow» anfreundete. Einmal krempelte der Wirt seine Hemdsärmel hoch, um Gläser abzuspülen. Da sah Monika Göth eine eintätowierte Nummer auf seinem Arm. Erschrocken fragte sie: «Sag mal, Manfred, bist du Jude? Warst du im KZ ?» – «Ja», antwortete er knapp. Monika Göth wollte wissen, in welchen Konzentrationslagern er gewesen sei. Ihre Nachfragen waren ihm unangenehm, aber schließlich sagte er, er habe die meiste Zeit in Płaszów verbracht. Monika Göth sagte daraufhin erleichtert: «Mei Manfred, bin ich froh, dass du in keinem KZ gewesen bist, sondern nur in einem Arbeitslager. Dann kennst du auch meinen Vater, gell. Das war doch der Göth.»
Als der Wirt begriff, wurde er blass. Monika Göth sagte später, sie habe immer noch seine Schreie im Ohr: «Dieser Mörder! Dieses Schwein!» Monika Göth wiederholte: «Aber Manfred, du warst doch in gar keinem KZ . Du warst doch im Arbeitslager.» Der Wirt antwortete nicht, stand nur da und zitterte. Danach sprach er tagelang nicht mehr mit ihr.
Monika Göth drängte ihre Mutter, den traumatisierten Mann zu treffen. Ruth Irene Göth erklärte sich zu der Begegnung bereit, erzählte danach aber fast nichts darüber – außer dass der Wirt sie immer wieder gefragt habe: «Warum habt ihr das nur getan?»
Mit knapp vierundzwanzig Jahren verliebte sich Monika Göth in den Freund eines Untermieters ihrer Mutter, einen schwarzen Studenten aus Nigeria. Monika Göth beschreibt ihn als gut aussehenden «Harry-Belafonte-Typ». Sie zog eine Zeitlang zu ihm, doch die Beziehung zerbrach bald. Am 29 . Juni 1970 gebar Monika Göth in der Frauenklinik in der Münchner Maistraße
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