Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
im Heim habe, erzählen nichts davon: Auf allen blicke ich fröhlich in die Kamera.
Der Eingangsbereich des Heims sieht freundlich aus, überall hängen bunte Bilder, die die Kinder gemalt haben. Ich habe vorher angerufen und erzählt, dass ich vor mehr als drei Jahrzehnten selbst ein Heimkind im Salberghaus war und mich gern einmal umsehen würde. Der Heimleiter und eine ältere Sozialarbeiterin, die noch die siebziger Jahre miterlebt hat, führen mich herum.
Trotz der vielen Kinder ist es leise. Wir gehen lange Flure entlang, ein paar Kleinkinder kommen uns auf Rutscheautos und Dreirädern entgegen.
Meine Gruppe wurde damals von Schwester Magdalena geleitet. Meine Adoptivmutter hat mir von ihr erzählt, dass sie sehr herzlich und zugewandt war. Die ältere Mitarbeiterin erinnert sich noch: «Die Gruppe von Schwester Magdalena war im Raum bei der Treppe links – dort, wo jetzt die ‹Bären›-Gruppe untergebracht ist.»
Ich darf die Wohnräume einer Kindergruppe betreten. Erst müssen wir klingeln, wie bei einer richtigen Wohnung, dann öffnet eine Betreuerin. Es gibt einen Essraum mit Küche und einen hell und freundlich eingerichteten Wohnraum. Weiter hinten befinden sich drei Kinderzimmer: Je zwei bis drei Kinder schlafen dort – nicht mehr als Gruppe zusammen in einem Schlafraum wie zu meiner Zeit.
Ein kleines Mädchen mit dunklen Haaren und Augenringen im blassen Gesicht kommt mir entgegen, es sieht mich kurz an. Es hat noch kein Wort gesprochen, seit es hier ist, erzählt mir später die Betreuerin der Gruppe. Auch zwei dunkelhäutige Mädchen sind in der Gruppe, ihre krausen Locken stehen ab, sie lachen.
Was haben diese Kinder wohl hinter sich? Vermissen sie ihre Eltern? Wollen sie in ihre Familien zurück?
Zu meiner Zeit im Heim gab es feste Besuchszeiten am Wochenende. Jeden Sonntag, wenn andere Mütter und Väter eintrafen, blickte ich sehnsüchtig zur Tür: Würde meine Mutter heute kommen?
*
Monika Göth besuchte Jennifer nur ab und zu an den Wochenenden, und auch dann fehlte ihr oft die Zeit für das kleine Kind. Sie hatte mittlerweile einen Mann geheiratet, der sie immer wieder verprügelte, einmal schlug er sie vor dem Heim krankenhausreif. Jennifer lernte den Ehemann ihrer Mutter bei ihren Besuchen kennen. Monika Göth sagte später über ihn: «Mein erster Mann war wie der Amon. Den hab ich mir wohl ausgesucht, um mich zu bestrafen.»
Manchmal brachte Monika Göth Jennifer auch zu Ruth Irene Göth in deren Schwabinger Altbauwohnung.
Am 21 . März 1971 wurde Jennifer in der Kapelle im Seitentrakt des Salberghauses getauft. Ihre Mutter kam nicht dazu. Schwester Magdalena wurde Jennifers Taufpatin.
*
Ich betrete die schlichte Kapelle, in der ich getauft wurde. Ich frage meine Begleiter, ob ich kurz allein sein kann, und setze mich auf eine Bank.
Jennifer Teege wird in der Kapelle des Kinderheims getauft. Ihre Taufpatin ist die junge Ordensschwester Magdalena.
Im Wohnzimmer meiner Adoptivfamilie steht ein Tisch mit einer tiefen Schublade. Wir Kinder bewahrten darin unsere Fotoalben auf. In meinem sind auch Fotos von meiner Taufe. Meine Adoptivmutter hatte sie sorgfältig einsortiert. Eine junge blonde Schwester hält mich über das Taufbecken. Das ist Schwester Magdalena, meine Gruppenleiterin und Taufpatin. Sie trägt die weiße Tracht der aktiv im Heim tätigen Nonnen. Neben ihr steht der Pfarrer, er gießt das Taufwasser über meine Locken. Auf einem anderen Foto, das nach der Taufe aufgenommen worden sein muss, hält Schwester Magdalena mich auf dem Arm. Ich bin eingehüllt in ein langes weißes Taufkleid und umgreife mit meiner winzigen dunklen Hand die ihre. In ihrer bodenlangen Tracht und der Haube sieht Schwester Magdalena aus wie eine Madonnenfigur.
Ich denke, dass sie und ihre Helferinnen ihr Möglichstes gaben, damit wir Kinder auch im Heim Liebe und Zuneigung erfuhren. Sie hat versucht, für elf Kleinkinder eine Art Mutterersatz zu sein. Abends hat sie mit uns im Schlafsaal gebetet.
Ich würde sie gern treffen, aber sie lebt nicht mehr im Kloster. Meiner Adoptivfamilie hat sie später einen Brief geschrieben und darin erzählt, dass sie aus dem Orden ausgetreten sei. Sie schrieb darin auch, dass sie mich einmal zufällig mit meiner neuen Familie in der Münchner Innenstadt gesehen habe. Sie habe damals nicht stören wollen, aber sie hoffe, dass es mir weiter gutgehe.
Über den Orden der Franziskanerinnen gelange ich an die E-Mail-Adresse der ehemaligen Schwester
Weitere Kostenlose Bücher