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Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Titel: Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Teege , Nikola Sellmair
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überlegt, ob Amon Göth seine Taten am Ende noch bereut hat: aber nicht, um ihn – und damit mich – zu entlasten. Sondern vielmehr, weil mich psychologische Zusammenhänge interessieren und ich Amon Göth trotz allem als Menschen sehe – und es ist in der Natur des Menschen angelegt, Mitleid empfinden zu können.
    Am Ende hat mein Großvater nicht bereut, sonst hätte er nicht am Galgen die Hand zum Hitlergruß erhoben. Auch meine Großmutter hat nie wirklich bereut, sie hat die Opfer nie richtig gesehen. Sie ist mit geschlossenen Augen durchs Leben gegangen.
    Ich werde mich dennoch nicht dafür rechtfertigen, dass meine Großmutter mir weiterhin nahe ist, ich werde es auch nicht begründen. Es ist einfach so.
    Als ich ein Kind war, gab sie mir das Gefühl, nicht allein zu sein. Das werde ich ihr nie vergessen.

Ein Leben mit den Toten: Die Mutter Monika Göth
    Dieser Amon, der hat unser ganzes Leben beherrscht.
    Obwohl er tot war: Er war da.
    (Monika Göth 2002 )
    Ich möchte meine Mutter wiedersehen. Nicht für eine Abrechnung, sondern um sie vieles zu fragen.
    Fast 20  Jahre sind seit unserem letzten Treffen vergangen. Wird sie sich wundern, wenn ich mich jetzt melde? Wird sie überrascht sein? Neugierig? Erfreut?
    Wird sie mich mögen oder zurückweisen?
    Ich hatte mir eine Frist gesetzt: Noch vor Ablauf des Kalenderjahres wollte ich mich bei meiner Mutter melden. In Krakau war ich im Oktober. Es wird November, es wird Dezember, die Wochen vergehen.
    Mitte Dezember kann ich nicht mehr weglaufen. Eine Woche vor Weihnachten schreibe ich meiner Mutter einen Brief. Ihre Adresse habe ich aus dem Telefonbuch.
    Schon die Anrede ist schwierig: Wie soll ich sie ansprechen: Mutter? Monika? Liebe Monika?
    Als Kind habe ich sie «Mama» genannt, aber das liegt so lange zurück.
    Ich beginne den Brief mit «Liebe Monika» und wünsche ihr ein schönes Weihnachtsfest. Ich schreibe, dass ich mich sehr freuen würde, sie im neuen Jahr zu treffen. Dazu notiere ich meine Adresse und lege ein kleines Foto von meinem Mann und meinen beiden Söhnen bei. Ein Stück weit lasse ich sie in mein Leben, sie weiß jetzt ein paar Dinge über mich: dass ich in Hamburg lebe, verheiratet bin und zwei Kinder habe.
    Ich weiß nur wenig über sie und gleichzeitig so viel: Aus dem Buch und dem Dokumentarfilm über sie, aus dem Internet.
    Ich bin auch deswegen nach Krakau gefahren, um meiner Mutter näher zu sein. Dort ist sie selbst gewesen, auf den Spuren ihrer Eltern. Dort hatte sie Helen Rosenzweig getroffen, das ehemalige Dienstmädchen von Amon Göth. In dem Film über diese Begegnung sieht sie einsam und verloren aus.
    Für mich war die Reise nach Polen ein wichtiger Schritt, danach ging es mir besser. Nachdem ich meine Blumen am Mahnmal des KZ Płaszów abgelegt hatte, schien es mir, als sei eine schwere Last von mir abgefallen. Ich beschäftige mich nicht mehr ständig mit geschichtlichen Fakten. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich nicht mehr meinen mordenden Großvater vor mir, nicht mehr die kranke, nach Luft ringende Großmutter. Ich kann mich wieder meinem eigenen Leben, meinen Kindern zuwenden.
    Ich habe Abstand gewonnen. Vielleicht habe ich das geschafft, was meiner Mutter nie gelungen ist.
    Ich sehe mir die Fotos von ihr noch einmal an. Manche Bilder machen mir Angst: Sie hat darauf so traurige Augen. Einen verschleierten Blick, der auch mich wieder in die Tiefe ziehen kann.
    Aber ohne meine Mutter werde ich nie richtig Bescheid über meine Familie und über meine Vergangenheit wissen. Nur sie kann mir vieles erklären.
    Anfangs wusste ich nicht, ob ich sie wirklich treffen will. Nach dem Fund des Buches wollte ich sie am liebsten anschreien, ihr an den Kopf werfen, wie enttäuscht ich war. Wie konnte sie mich erst verlassen, dann totschweigen? Warum hatte sie es nicht für nötig gehalten, mir von den Ungeheuerlichkeiten der Familiengeschichte zu berichten?
    Aber ich wusste, es wäre sinnlos gewesen, mich in diesem Zustand bei ihr zu melden. Ich wäre ihr in der Rolle eines kleinen, verletzten Kindes begegnet und zu keinem richtigen Gespräch fähig gewesen.
    Ich brauchte Zeit, um sie besser zu verstehen.
    Also verhielt ich mich ruhig. Wirklich zulassen konnte ich meine Wut nur in der Therapie. Mein Mann schlug vor, ich solle meine Mutter endlich zur Rede stellen. Auch er war wütend auf sie, das merkte ich, vielleicht noch wütender als ich.
    Aber ich hielt es für besser zu warten. Ich dachte über meine Mutter nach. Was

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