Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
ist sie für ein Mensch? Schwierig, rätselhaft. Ich vertiefte mich in die Fotos, die es von ihr gab, schaute mir den Dokumentarfilm über sie und Helen Rosenzweig genau an. Ihr Gang ist merkwürdig, ihre Schultern sind gebeugt, als trüge sie eine schwere Last. Sie tut mir leid. Meine Wut ist nicht mehr so groß.
Wenn ich jetzt ihre Geschichte betrachte, kann ich besser verstehen, warum sie sich nicht in der Lage sah, mich aufzuziehen. Ich kann auch nachempfinden, warum sie so lange über die Vergangenheit geschwiegen hat.
Ich würde gerne von ihr selbst hören, warum sie mich weggegeben hat. Ich möchte wissen, wie es ihr all die Jahre erging.
Ich sehe sie nicht mehr nur als Mutter, die ihr Kind verließ, sondern als Tochter von Amon Göth. Dieser Vater ist ihr Lebensthema, etwas, das ihre Identität ausmacht. Etwas, das sie so ausgefüllt hat, dass vielleicht kein Raum mehr war für andere Menschen, für die Mutterrolle, für mich.
*
Monika Göth wurde im bayerischen Bad Tölz geboren. Amon Göth war in den Wirren der letzten Kriegstage hierhergekommen und im Mai 1945 von den einrückenden Amerikanern verhaftet worden. Ruth Irene Kalder war ihm nach Bayern gefolgt und brachte im November 1945 die gemeinsame Tochter zur Welt.
Amon Göth schrieb Ruth Irene Kalder einen Brief aus der Haft: «Liebste Ruth, endlich dürfen wir schreiben. Besonders Anfang November habe ich viel gedacht, was war es schwer, Du Arme, und was ist es geworden? Ein Bub oder ein Mädel? Hoffe Euch gesund …»
Nach der Geburt erkrankte Ruth Irene Kalder an Scharlach. Um die neugeborene Monika kümmerte sich ihre Großmutter Agnes Kalder. Wegen der Ansteckungsgefahr durfte Ruth Irene Kalder ihr Kind die ersten Wochen nur durch eine Scheibe betrachten. Die Distanz zwischen Mutter und Tochter blieb auch später bestehen: Die Großmutter Agnes wurde Monikas wichtigste Bezugsperson, sie war für das Mädchen ihre «Oma». Ihre Mutter nannte Monika nur «Ruth» oder «Irene».
Über ihre Kindheit und Jugend hat Monika Göth dem Autor und Dokumentarfilmer Matthias Kessler ausführlich berichtet.
Als Monika ein halbes Jahr alt war und von ihrer Mutter in Bad Tölz spazieren gefahren wurde, stürzte sich ein Mann auf den Kinderwagen und stach mit einem Messer auf das Baby ein. Monika musste operiert werden, am Hals blieb eine Narbe. Eine Vermutung Ruth Irene Kalders war, ein ehemaliger Płaszów-Häftling habe versucht, Amon Göths Tochter umzubringen.
Als Monika zehn Monate alt war, wurde ihr Vater in Krakau gehängt.
Ruth Irene Kalder, die ihren Nachnamen dann 1948 in Göth änderte, schwärmte weiter von ihrem Amon, genannt Mony. Monika, genannt Moni, war später dabei, als ihre Mutter im Frankfurter Bahnhofsviertel einen alten Freund wiedertraf: Oskar Schindler. Der sah das junge Mädchen an und befand: Ganz der Mony! Monika freute sich zuerst darüber.
Sie wurde erst misstrauisch, als ihre Mutter sie bei einem heftigen Streit plötzlich anschrie: «Du bist wie dein Vater und wirst auch genauso enden wie dein Vater!» Da begann die damals zwölfjährige Monika zu fragen: Der Vater war doch im Krieg gefallen – oder stimmte das etwa nicht?
Die Mutter schwieg. Irgendwann presste Monika aus ihrer Großmutter Agnes Kalder die Wahrheit heraus: «Na ja, man hat ihn halt aufgehängt. In Polen, da haben sie die Juden umgebracht, und dein Vater war auch dabei.»
Juden? Monika kannte keine Juden. Die Familie war inzwischen nach München-Schwabing gezogen, aber auch in der Großstadt hatte Monika noch nichts über den Holocaust erfahren. Später beschrieb sie die Atmosphäre der fünfziger und sechziger Jahre so: «Über Juden redete man nicht nach dem Krieg, die waren ausgestorben wie die Dinosaurier.»
Monika befragte ihre Großmutter weiter: «Und wo war Irene?» Agnes Kalder antwortete: «Die war auch in Polen.»
Monika ging am nächsten Tag zu ihrer Klassenlehrerin und fragte sie, wie das wirklich gewesen sei mit den Juden. Die Lehrerin antwortete ihr nur, sie solle sich lieber um ihre Mathematikkenntnisse kümmern und nicht um Dinge, die sie nichts angingen.
Monika ging zu ihrer Mutter, bohrte nach: Wie viele Juden hat der Vater umgebracht, warum? Waren auch Kinder dabei?
Als Monika weiterfragte, schlug die Mutter auf sie ein.
Ruth Irene Göth relativierte Amon Göths Taten, immer wieder sagte sie zu Monika: Der Mony habe nur ein Arbeitslager geleitet, kein Vernichtungslager. Ein anderer Kommandant, Rudolf Höß, habe ein viel
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