Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
Vater» und «Meine deutsche Mutter» – konnte ich nicht zu Ende lesen. Sie sind wichtige Dokumente, trotzdem mochte ich sie nicht. Es sind eigentlich keine Bücher über seine Eltern, es sind Bücher über sein Leiden an diesem Vater, an dieser Mutter. Jede Zeile darin ist ein wütender Aufschrei, voller Hass und Selbsthass. Aber dieser Hass führt zu nichts.
Das Festkleben in der Vergangenheit hilft den Opfern nicht – und es hilft auch nicht bei der Analyse und Aufarbeitung des Nationalsozialismus.
Letztlich verstecken sich einige Täterkinder hinter der übermächtigen Vaterfigur. Sie definieren sich über die Vergangenheit. Aber wer sind sie, wenn sie aus dem Schatten ihrer Väter und Mütter heraustreten? Was bleibt dann übrig, wofür stehen sie?
Malgorzata, die Dolmetscherin, die mich in Krakau in die Villa meines Großvaters begleitete, hatte dort auch Niklas Frank und meine Mutter herumgeführt.
Auch bei Niklas Frank sind seine Eltern sein Lebensthema, darin ähnelt er meiner Mutter. Sie ist weniger aggressiv als er. Aber ich spüre, dass auch sie glaubt, kein Recht auf ein eigenes Leben zu haben – und kein Recht auf Glück.
Auch meine Mutter dachte, sie müsse für die Taten meines Großvaters und für das Wegschauen meiner Großmutter Buße tun.
Sich pausenlos selbst zu prügeln und zu verdammen, macht krank. Dieses Leiden an sich selbst und seiner Familiengeschichte gibt man weiter an seine Kinder.
Ich habe es in Israel bei den Holocaust-Opfern erlebt: Sie gruben sich ein in ihrem Schmerz und trugen ihre Ängste auch in die nächsten Generationen. Die Traumatisierung, die das Kind eines Holocaust-Opfers erlebt, ist eine ganz andere als die eines Täterkindes, aber die Weitergabe funktioniert ähnlich.
Ich weiß, dass ich nicht so leben will wie meine Mutter: in der Vergangenheit verhaftet, immer im Schatten von Amon Göth.
Ich finde es gut, dass Menschen wie Niklas Frank oder meine Mutter in Schulen gehen und dort von ihren Eltern berichten. Aber das ist nicht mein Weg. Ich möchte irgendwann meinen israelischen Freunden und ihren Kindern meine Familiengeschichte erzählen. Ich hoffe, ich schaffe es bald, mich ihnen zu offenbaren. Mit ihnen will ich mein Schicksal teilen.
Ich möchte aufrecht gehen. Ein normales Leben führen. Es gibt keine Erbschuld. Jeder hat das Recht auf eine eigene Biographie.
*
Die dritte Generation der Nazi-Täter blickt meist abgeklärter und ohne falsche Rechtfertigungen auf die eigene Familie.
Die Kinder arbeiteten sich noch an den Verbrechen ihrer Väter ab – die Enkel arbeiten die Verstrickungen ihrer Familien auf. Sie analysieren die tausendmal erzählten Familienlegenden, forschen nach, was wahr ist und was verdreht oder verschwiegen wurde.
Denn die Taten – und vor allem das Schweigen über die Taten – der Großväter wirken bis heute in den Familien nach. Eine «Mentalitätsgeschichte des Nationalsozialismus und seiner lang anhaltenden Folgen» stehe noch aus, schreibt der Historiker Wolfgang Benz.
Geschichtswissenschaftler sprechen von einem «familiären Schweigekartell». Katrin Himmler, die Großnichte des SS -Führers Heinrich Himmler, bezeichnete die tradierten Halbwahrheiten in ihrer Familie als «Denkgefangenschaften». Sie konnte mit eigenen Recherchen aufzeigen, dass Heinrich Himmlers Familie von seiner Stellung profitierte und zum Teil aktiv seine Vernichtungspolitik unterstützte – auch ihr eigener Großvater, der Bruder Heinrich Himmlers.
Andere Enkel plädieren dafür, die Vergangenheit auch als vergangen zu betrachten. Sehr deutlich schloss der Schriftsteller Ferdinand von Schirach in einem Aufsatz für das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» mit der Geschichte seines Großvaters, des Reichsjugendführers Baldur von Schirach, ab. Er schrieb:
«Die Schuld meines Großvaters ist die Schuld meines Großvaters. Der Bundesgerichtshof sagt, Schuld sei das, was einem Menschen persönlich vorgeworfen werden könne. … Unsere Welt heute interessiert mich mehr. Ich schreibe über die Nachkriegsjustiz, über die Gerichte in der Bundesrepublik, die grausam urteilten, über die Richter, die für jeden Mord eines NS -Täters nur fünf Minuten Freiheitsstrafe verhängten … Wir glauben, wir seien sicher, aber das Gegenteil ist der Fall: Wir können unsere Freiheit wieder verlieren. Und damit verlören wir alles. Es ist jetzt unser Leben, und es ist unsere Verantwortung … ‹Du bist, wer du bist.› Das ist meine einzige Antwort auf die
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