Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
Familie, die macht einen sehr guten Eindruck.»
Für meine Mutter war die Adoption zunächst eine rein formale Sache. Sie dachte, sie erspare Bürokratie, mache es mir und meinen Adoptiveltern leichter. Erst danach sei ihr klargeworden, dass sie damit keine Besuchsrechte mehr hatte. Wütend und enttäuscht sei sie gewesen.
Als sie mich nicht mehr treffen durfte, sei sie ab und zu am Haus in Waldtrudering vorbeigefahren, auch meine Großmutter sei manchmal mitgekommen.
Meine Mutter schaute das hübsche große Haus an, in dem ich nun wohnte, und sagte zu sich: Das ist schon alles gut so. Mehr kannst du nicht verlangen.
Sie hatte sich mit der Adoption abgefunden.
Meine Mutter sah nur das Äußerliche: das Haus, den Garten, die Insignien des bürgerlichen Mittelstandes. Sie sah nicht, dass ich mich zerrissen fühlte.
Sie sieht es auch jetzt nicht. Sie fragt nicht, wie es mir in der Adoptivfamilie erging. Was ich vermisste. Ob ich sie vermisste.
Für sie scheint klar zu sein: Die Adoption war das Beste für mich. Ich hatte eine Bilderbuch-Kindheit.
Sie denkt, es war gut für mich, nicht mehr den Namen «Göth» zu tragen und damit auch nicht die Last der Familiengeschichte. Sie versteht immer noch nicht, dass das Nicht-Wissen die größere Bürde war.
Wir reden fast vier Stunden. Sie hat selbst angefangen, Althebräisch zu studieren, aber sie will nicht wissen, wie es mir in Israel ging.
Ich versuche, mich in sie hineinzuversetzen, möglichst vorsichtig und verständnisvoll zu sein, nicht zu viel zu fragen oder zu verlangen. Ich werde zur Mutter, sie wird zum Kind: Mir scheint es, als müsse ich sie beschützen und ihr helfen.
Für den Abend hat meine Mutter meinen Mann und mich zum Essen eingeladen. Ihr Haus liegt in einem kleinen Weiler in der Nähe eines Waldes. Der Garten ist schön angelegt, man sieht, dass meine Mutter gern dort arbeitet.
Als mein Mann und ich ankommen, stehen meine Mutter und Dieter noch am Herd und bereiten das Essen vor. Wir trinken zusammen in der Küche ein Glas Wein. Danach setzen wir uns an den Esstisch und reden. Mein Mann sieht meine Mutter nun das erste Mal. Auch ihm fällt auf, dass sie hauptsächlich über ihre Eltern spricht.
Meine Mutter erzählt, sie habe einmal Irene gefragt: Warum kann denn nicht der Oskar Schindler mein Vater sein, warum muss es der Amon sein? Und Irene antwortete: Wenn der Oskar dein Vater wäre und nicht der Amon, dann würd’s dich auch nicht geben.
Noch einmal vergleicht meine Mutter mich heute mit Irene, aber diesmal klingt es wohlwollender. Wir schauen zusammen Fotos von meiner Großmutter an, spontan sagt sie: «Such dir eins aus.» Ich wähle ein Bild von Irene im Profil. Darauf sieht sie so aus, wie ich sie in Erinnerung habe: elegant und trotzdem natürlich, ein Tuch ist um ihre Schultern geschlungen.
Meine Mutter gibt mir das Foto. Dann überreicht sie mir ein kleines Zigarrenkistchen. Darin liegt der goldene Lieblingsarmreif meiner Großmutter. Meine Mutter sagt: «Ich schenke ihn dir.» Der schlichte Schmuck gefällt mir sofort, dennoch halte ich ihn zunächst unschlüssig in der Hand. Ich will nichts aus dem Lager, nichts Geraubtes, kein Gold aus den Zähnen der Opfer. Als ich höre, dass der Armreif noch von meiner Urgroßmutter stammt, nehme ich ihn an. Ich freue mich über diese Geste.
Ich nehme es hin, dass meine Mutter fast nur von der Vergangenheit spricht. Ich denke, dass dieses Treffen ja erst der Anfang ist.
Zur Begrüßung haben sie und ich uns die Hand gegeben. Zum Abschied nehmen wir uns kurz in den Arm.
Ich habe jetzt eine Mutter.
*
Jennifer Teege lächelt, als sie kurz danach über die Begegnung mit ihrer Mutter spricht. Den Goldreif ihrer Großmutter trägt sie am Arm.
Jennifers älterer Bruder Matthias sagt: «Nach dem Treffen mit ihrer Mutter stand für Jenny erst mal die leibliche Familie im Vordergrund. Sie stellte die Zeit bei der Adoptivfamilie in Frage.»
Inge Sieber erlebt diese Zeit als «Jennifers zweite Ablösung nach der Pubertät: Nach dem Treffen mit ihrer Mutter hat sie uns zunächst sehr kritisch gesehen. Das war hart für meinen Mann und mich.» Für Inge Sieber war es schon schwer gewesen, als Jennifer sie nach dem Fund des Buches plötzlich nur noch mit Vornamen anredete statt mit «Mama»: «Da hat’s mich gerissen.» Nur manchmal verspreche sich Jennifer noch und sage wieder «Mama» zu ihr.
Vor dem zweiten Treffen, diesmal mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Charlotte gemeinsam, wohnt
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