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Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Titel: Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Teege , Nikola Sellmair
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dass ich sie an meine Großmutter Irene erinnere: meine Art, mich zu kleiden, die Tasche passend zu den Schuhen. Es klingt wie ein Vorwurf.
    Sie erzählt von meiner Großmutter und immer wieder von Amon Göth – als sei es noch nicht lange her, dass er in Płaszów Kommandant war, als sei es erst gestern gewesen, dass meine Großmutter sich umgebracht hat. Meine Mutter sagt, sie lebe mit den Toten.
    In einem Interview hat sie einmal gesagt, sie habe das Gefühl, ihre Mutter Irene zu verraten, wenn sie schlecht über Amon Göth denke, denn der sei ja die große Liebe ihrer Mutter gewesen. Sie denkt, sie müsse loyal gegenüber ihrer Mutter sein – und das schließt auch die Loyalität zu Amon Göth mit ein. Das bringt sie in einen schrecklichen Konflikt.
    Vielleicht ist das der Unterschied zwischen zweiter und dritter Generation, zwischen meiner Mutter und mir: Ich bin viel freier im Kopf. Ich kann liebevoll an meine Großmutter denken und trotzdem Amon Göth und ihr Leben mit ihm verurteilen.
    Ich möchte meine Mutter schütteln und ihr zurufen: «Du lebst jetzt! Sprich mit mir! Sprich nicht dauernd über deine Eltern. Denk an dich und mich! Blick nach vorn, nicht zurück!»
    Ich habe die Bücher vieler Nazi-Nachkommen gelesen. Ich habe begriffen, dass meine Mutter nicht nur ein individuelles Schicksal hat, sondern dass sie eine typische Vertreterin der Nazi-Kinder ist, der zweiten Generation. Viele Täterkinder haben ein Leben lang unter ihrer Familiengeschichte gelitten. Viele haben zerrüttete Familien.
    Es erleichtert mich, es so zu sehen. Meine Mutter gab mich nicht fort, weil an mir etwas falsch war – sondern weil sie genug mit sich selbst zu tun hatte.
    *
    Die Aufarbeitung der NS -Zeit war immer auch Familiendrama.
    Viele Kinder prominenter Nationalsozialisten schwanken zwischen Glorifizierung der Väter – und grenzenlosem Hass auf ihre Erzeuger, der oft in Selbsthass umschlägt. Allen gemeinsam ist: Die Vergangenheit lässt sie nicht los.
    Gudrun Burwitz, die Tochter von Heinrich Himmler, war in der Neonazi-Szene aktiv und sammelte Spenden für ehemalige NS -Täter. Wolf-Rüdiger Heß, der Sohn von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, versuchte zeitlebens, seinen Vater zu rehabilitieren. Auch meldete er stolz seinem Vater ins Gefängnis, dass sein zweites Enkelkind an «Führers Geburtstag» auf die Welt gekommen sei.
    Bettina Göring dagegen, Großnichte von Hitlers Luftwaffenchef Hermann Göring, ließ sich sterilisieren, «um nicht noch so ein Monster hervorzubringen, um keine weiteren Görings zu produzieren». Die Historikerin Tanja Hetzer sagt, sie kenne aus ihren Befragungen von NS -Nachkommen noch andere Frauen und Männer, die sich sterilisieren ließen oder freiwillig kinderlos blieben. Hetzer stellt fest: «Auf diese Weise wirkt die Naziideologie über ‹wertes und unwertes› Leben in der zweiten und dritten Generation weiter und richtet sich in einer autoaggressiven Weise gegen die Nachkommen selbst: Sie fühlen sich selbst nicht wert, ihr Leben weiterzugeben.»
    Niklas Frank, Sohn von Hans Frank, Hitlers Statthalter im besetzten Polen, läuft bis heute mit dem Foto einer Leiche in der Brieftasche herum: sein Vater mit gebrochenem Genick, nachdem er für seine Verbrechen gehängt wurde. Niklas Frank sagte, in Gedanken würde er seine Eltern jeden Abend aufs Neue hinrichten, sie hätten es verdient. In seinem Buch «Der Vater» schreibt er: «Ich fühle mich immer noch als Marionette meines Vaters, er hat immer noch die Fäden in der Hand.»
    Über seine Schwester Brigitte sagte Niklas Frank: «Sie ist am Vater gestorben.» Niklas Franks Schwester Brigitte beging Selbstmord mit sechsundvierzig – genauso alt war ihr Vater, als er hingerichtet wurde.
    Viele Nazi-Nachkommen sind die Bilder ihrer Väter ein Leben lang nicht mehr losgeworden.
    Es gibt viele Arten, sich von diesen Vätern abzugrenzen. Karl-Otto Saur, Sohn des gleichnamigen Vertrauten von Albert Speer im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, trug sein Haar stets etwas länger – den tadellos ausrasierten Nacken des Vaters vor Augen. Monika Göth studierte Althebräisch.
    *
    Bettina Göring lebt jetzt in New Mexiko. Sie spricht nur noch Englisch, trägt den Namen ihres geschiedenen Mannes. Ich verstehe, dass sie nicht mehr «Göring» heißen will, aber mit ihrer Entscheidung, sich sterilisieren zu lassen, setzt sie ein falsches Zeichen. Es gibt kein Nazi-Gen.
    Niklas Franks Bücher über seine Eltern – «Der

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