Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
Mein Großvater war ein Verbrecher. Ihre Mutter hat Jahre ihres Lebens für diese Erkenntnis gebraucht.
Der Selbstmord ihrer Mutter Ruth Irene 1983 habe ihre Sicht auf Amon Göth verändert, so Monika Göth: «Bis dahin war ich immer gegen meinen Vater angegangen. Nach Irenes Tod hatte ich plötzlich das Gefühl, ich müsse ihn in Schutz nehmen – es war ja keiner mehr da, der das sonst tat. Ich wollte endlich den Amon akzeptieren: Damit Irene ihren Frieden findet.»
1994 kam der Film «Schindlers Liste» in die deutschen Kinos. Monika Göth konnte ihn sich nicht zu Ende ansehen. Immer wenn der Schauspieler Ralph Fiennes als Amon Göth seine Pistole zog, dachte Monika Göth: Hör doch auf, hör doch endlich auf!
Nach dem Kinobesuch lag Monika Göth drei Tage im Bett. Der Arzt, den ihr Mann herbeirief, diagnostizierte einen Nervenzusammenbruch.
Monika Göth wollte es nun genau wissen: Sie recherchierte in Archiven, fuhr immer wieder nach Krakau und nach Auschwitz. Sie traf sich auch mit Überlebenden aus Płaszów. Monika Göth ging nicht zu diesen Treffen, sie schlich dorthin, voller Schuld und Scham und Unsicherheit. Einige Überlebende sagten ihr, sie bekämen Beklemmungen in ihrer Nähe, könnten ihre Gegenwart nicht aushalten, weil sie ihrem Vater so ähnlich sehe.
Monika Göth sagte über die Taten ihres Vaters: «Ich glaube das alles, aber ich kann nicht damit leben. Meinen Vater haben sie dreimal aufgehängt, meine Mutter hat sich das Leben genommen – ich glaube schon, dass auch bei mir einmal ein Schlussstrich gesetzt wird.»
Monika Göth machte eine Art öffentliche Therapie – allerdings nicht unter Anleitung eines Psychologen: Der Dokumentarfilmer Matthias Kessler konfrontierte sie in einem langen, für sie quälenden Interview mit den Verbrechen ihres Vaters und machte ein Buch daraus: «Ich muß doch meinen Vater lieben, oder?» Es ist das Buch, das Jennifer Teege im Sommer 2008 in einer Hamburger Bibliothek entdeckt.
2006 dokumentierte der Filmemacher James Moll das Treffen von Monika Göth mit der Płaszów-Überlebenden Helen Rosenzweig. Beide Frauen weinten, als sie sich in Płaszów trafen. Die Begegnung zwischen ihnen war geprägt von Missverständnissen. Noch immer wiederholte Monika Göth die Sätze, mit denen sie aufgewachsen war: Sie sagte zu Helen Rosenzweig, Amon Göth habe die Juden doch nur erschossen, weil sie ansteckende Krankheiten übertrugen. Helen Rosenzweig war entsetzt, sie unterbrach Monika Göth und rief: «Monika, hören Sie bitte auf, hören Sie sofort auf!» 2008 , einen Tag, nachdem Jennifer Teege das Buch über ihre Mutter gefunden hatte, wurde der Film «Inheritance» unter dem Titel «Mördervater» im deutschen Fernsehen das erste Mal ausgestrahlt.
Später bereute Monika Göth ihren Auftritt in James Molls Film: «Ich würde nie mehr versuchen, den Amon zu verteidigen. Ich würde einfach still sein und Helen zuhören.»
Monika Göth hat mit Mitte vierzig noch ihr Abitur gemacht, später das Latinum, sie hat Althebräisch gelernt. Sie hört gern israelische Musik und hat fast jedes Standardwerk über den Holocaust gelesen. Sie ist jetzt beinahe siebzig Jahre alt, aber sie kämpft weiter gegen die Schatten der Vergangenheit, jeden Tag.
*
In ein paar Stunden werde ich meine Mutter treffen.
Während der Fahrt bin ich voller Anspannung. Ich wünsche mir so sehr, dass der Fluch, der auf dieser Familie liegt, endet. Dass endlich Friede einkehrt.
Mein Mann begleitet mich, aber beim Wiedersehen mit meiner Mutter wird er nicht dabei sein, sondern im Hotelzimmer auf mich warten. Auch meine Mutter wird ohne ihren Mann kommen.
Diesmal will ich mit ihr allein sein. Nur Mutter und Tochter.
Vorbei an Schafherden auf grünen Wiesen geht es in einen kleinen ländlichen Ort in Bayern.
Wir haben uns im Restaurant des Hotels verabredet, in dem mein Mann und ich wohnen. Ich setze mich und warte. Zur verabredeten Zeit ist sie nicht da. Erst mache ich mir keine Sorgen und nutze die Zeit, um mich zu sammeln. Etwas später werde ich doch unruhig. Ich gehe hinaus, um Ausschau nach ihr zu halten. Kurz danach trifft sie ein, sie ist im Verkehr steckengeblieben. Ich bin froh, dass sie noch gekommen ist.
Diesmal erscheint sie mir nicht so fremd wie bei unserem letzten Treffen in einem Münchner Café, als ich zwanzig war. Ich habe sie ja schon im Film gesehen.
Wir reden über das Städtchen, in dem sie wohnt, ein leichtes, unverfängliches Thema. Dann betrachtet sie mich und sagt,
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