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Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Titel: Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Teege , Nikola Sellmair
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«Die Gründer hofften, nicht nur das soziale System, die Klassengesellschaft zu verändern. Sie wollten die menschliche Natur revolutionieren. Sie glaubten, wenn sie eine Gemeinschaft schaffen, wo jeder das gleiche isst, sich gleich kleidet, gleichermaßen Arbeit verrichtet und den gleichen Lebensstandard teilt, dass dann Selbstsucht und Egoismus verschwinden und ein neuer Mensch entsteht. Das hat sich als falscher Gedanke erwiesen.»
    Alon erhielt keine Ausbildung. Für ihn war es selbstverständlich, dass er nach dem Schulbesuch in den Werkstätten des Kibbuz arbeitete.
    *
    Mit einem Bus fuhr ich los Richtung Süden. Nach drei Stunden Fahrt hielt der Fahrer an, mitten in der Wüste. Um mich herum nichts als rote Erde. Ich marschierte die Straße hinauf. Oben lag der Kibbuz. Auf den ersten Blick wirkte er wie eine Feriensiedlung: zweistöckige, identisch aussehende Häuser, durch Plattenwege und grüne Rasenflächen getrennt, dazwischen wild wuchernder Oleander.
    Um sechs Uhr früh begann hier der Arbeitstag. Ich hatte gehofft, beim Kuhmelken eingesetzt zu werden, das stellte ich mir spannender vor als etwa an einem Fließband Tomaten zu sortieren. Aber daraus wurde nichts. Am ersten Morgen wurde ich in die Küche bestellt. Einen Tag lang war ich für das Entsorgen von Essensresten und das Vorspülen schmutzigen Geschirrs verantwortlich. Am zweiten Tag wechselte ich zum Geschirrspüler. Ich fand das Einräumen von Unmengen schmutziger Teller unglaublich langweilig und stellte mir die Frage, ob ich hier wirklich ein detailreicheres Bild von Israel bekommen würde.
    Am nächsten Tag nahm ich meine Tasche und reiste ab.
    Ich fuhr einige Kilometer weiter in die südlichste Stadt Israels, den Badeort Eilat am Roten Meer. Um meine Reisekasse aufzufüllen, zog ich los zum Hafen, angeblich ein Geheimtipp unter abgebrannten Backpackern. Ein großes Segelboot legte gerade ab. Ich lief auf den Steg und schrie einem der Crewmitglieder zu: «Are you looking for some help?» – «Sorry, we are full», brüllte er zurück.
    Da sah ich ein breites rotes Boot in den Hafen einfahren. Am Steuer stand ein großer, schlanker Mann mit dunklen Haaren. Als der letzte Passagier von Bord gegangen war, ging ich auf den Kapitän zu: «Hi, do you need some help?» Er lächelte: «Yes, someone left this morning.»
    Er hieß Shimon, und ich verliebte mich sofort. Er hatte ein wettergegerbtes Gesicht mit hellen blauen Augen unter dichten Brauen. Shimon war ein Sabra – so nennt man die Israelis, die bereits im Land geboren wurden. Man sagt, sie ähneln der gleichnamigen Kaktusfrucht, außen stachlig und hart, innen süß und weich.
    Shimon war achtundvierzig Jahre alt, verheiratet und Vater einer kleinen Tochter. Sein halbes Leben hatte er beim Militär verbracht. Er diente der Schajetet 13 , einer Eliteeinheit der israelischen Marine. Vor ein paar Jahren war er nach Eilat gezogen und steuerte nun ein Glasbodenboot zwischen Eilat und der ägyptischen Grenze hin und her.
    Ich wurde Teil der Bootscrew, zusammen mit zwei Backpackern, die ebenfalls dort arbeiteten, einer Niederländerin und einem Südafrikaner. Tagsüber verkaufte ich Tickets an die Touristen, abends schrubbte ich das Deck und die Toiletten. Danach holte ich die Isomatte hervor, rollte meinen Schlafsack aus und schlief irgendwo auf dem Boot unter freiem Himmel.
    Shimon und ich kamen aus verschiedenen Welten, trotzdem ähnelten wir uns: Wir waren beide gern allein und liebten die Stille. Shimon nahm mich mit in die Wüste Negev. Ich war niemals zuvor in der Wüste gewesen, aber ich mochte die Landschaft sofort. Zuerst mag sie eintönig erscheinen, wie ein großes karges Nichts. Aber in dieser Kargheit gibt es so viel zu entdecken. Wir gingen durch enge Schluchten. Shimon zeigte mir ungewöhnliche Felsformationen, machte mich darauf aufmerksam, wie sich die Farbe des Gesteins im Laufe des Tages verändert. Wir entdeckten Pflanzen in der Wüste, sahen Schlangen und Skorpione.
    Anfangs störte es mich nicht, dass Shimon nicht viel sprach. Tagelang hätte ich schweigend mit ihm durch die Wüste ziehen können.
    Das erste Mal liebte mich jemand so, wie ich war.
    Es dauerte einige Wochen, bis die vertraute Unruhe bei mir einsetzte. Hatte die Beziehung zu Shimon eine Zukunft, oder verschwendete ich in Eilat nur meine Zeit? Shimon verstand nicht, weshalb ich mir Sorgen machte. Zwar wohne er noch mit seiner Frau zusammen, doch die Ehe sei längst am Ende. Er fragte: «Warum bleibst du nicht

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