Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Titel: Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Teege , Nikola Sellmair
Vom Netzwerk:
einfach da?» Shimon schlug vor, in Eilat zusammenzuziehen.
    Ich bat um Bedenkzeit und flog zurück nach Deutschland. Das Dreimonatsvisum, das ich bei der Einreise erhalten hatte, lief aus. Daheim in München fragten meine Adoptiveltern nicht nach, wann ich denn endlich anfangen würde zu studieren. Sie merkten wohl, dass mit mir nicht zu reden war. Meine Freunde sagten mir dagegen offen die Meinung: Sie fragten mich, was ich als Einundzwanzigjährige mit so einem alten Mann wolle und ob ich an einem Vaterkomplex leide.
    Ich jobbte einige Wochen bei Siemens, um Geld zu verdienen. Dann flog ich zurück nach Eilat.
    Shimons Frau war in der Zwischenzeit aus der Wohnung in Eilat ausgezogen. Die gemeinsame Tochter ließ sie bei uns. Sie war vier Jahre alt, ein bildhübsches Mädchen mit langen dunklen Locken, die ihr ständig ins Gesicht fielen. Vormittags besuchte sie den Kindergarten, nachmittags war sie bei ihrer Mutter oder bei mir.
    Shimon arbeitete auf dem Schiff. Ich wünschte mir mehr Selbständigkeit, wollte mein eigenes Geld verdienen. Eine Anstellung im Ferienclub Méditerranée in Eilat wartete auf mich, doch die Saison hatte noch nicht angefangen. In der Zwischenzeit wollte ich Hebräisch lernen, aber meist legte ich nach fünf Minuten meine Bücher weg und schlenderte zum Strand oder ins nahe gelegene Einkaufszentrum.
    Abends, wenn Shimon nach Hause kam, sprang ihm seine Tochter sofort um den Hals. Sie stand bei ihm an erster Stelle. Er spielte mir ihr und las ihr lange vor, bevor er sie zu Bett brachte. Danach ließ er sich erschöpft auf das Sofa fallen. Ich fühlte mich alleingelassen. So hatte ich mir das Leben mit ihm nicht vorgestellt.
    Eines Abends, ich hatte wieder einmal auf der Couch gesessen und auf ihn gewartet, brach alles aus mir heraus. Ich überschüttete ihn mit Vorwürfen, beklagte mich, dass sich alles nur um seine Tochter drehe, und fügte hinzu, dass ich ihn während meines kurzen Aufenthalts in Deutschland mit einer alten Liebschaft betrogen hätte.
    Shimon sah mich ruhig an. Dann sagte er zu mir, sein Verhalten sei nicht das Problem und auch nicht seine Tochter: «Du weißt nicht, was du willst. Warum machst du alles kaputt?» Dann lehnte er sich zurück. Im Raum war es beängstigend still.
    Ich denke manchmal, hätte ich Shimon zu einem späteren Zeitpunkt getroffen, wären wir vielleicht ein Paar geblieben. Aber damals war ich zu jung. Ich suchte einen Retter, keinen Partner. Das war zu viel verlangt.
    Am nächsten Morgen packte ich meine Sachen und fuhr zurück nach Tel Aviv. Noch in der Nacht nach meinem Streit mit Shimon hatte ich Noa angerufen.
    Shimon meldete sich nicht bei mir. Nach fünf Tagen ging ich in ein Reisebüro und buchte für den nächsten Morgen einen Flug zurück nach Deutschland. An diesem Abend stellte ich den Wecker auf halb fünf Uhr früh.
    Als ich aufwachte, fielen mir Sonnenstrahlen ins Gesicht. Ich blinzelte. Vor dem Bett stand die gepackte Reisetasche. Aus der Küche hörte ich ein Klappern. Ich stand auf und steckte meinen Kopf durch die Tür. Noa stand am Herd und winkte mir fröhlich zu. Nachdem wir zusammen gefrühstückt hatten, ging ich zu einer Sprachschule für Neueinwanderer und meldete mich für einen Hebräischkurs an.
    *
    Noa erinnert sich, wie Jennifer weinend mit ihrem Gepäck vor ihrer Tür in Tel Aviv stand: «Sie war so verliebt in Shimon – und so verzweifelt.»
    Als am Abreisetag dann frühmorgens Jennifers Wecker klingelte, versuchte Noa, sie zum Aufstehen zu bewegen: «Aber Jenny drehte sich nur auf die andere Seite und murmelte, sie sei müde.»
    Noa lacht noch heute, wenn sie an diesen Morgen denkt: «Sie verschlief einmal – und blieb dann vier Jahre!» Jennifer sei temperamentvoll und spontan, sagt Noa über ihre Freundin. «Am Anfang erfand Jenny ihr eigenes Hebräisch, wir haben so gelacht.»
    Mit Jennifer könne man Spaß haben und tiefsinnige Gespräche führen: «Als ich sie in Paris kennenlernte, waren wir uns sofort nah. Unsere Freundschaft ist eine der ungewöhnlichsten, die ich hatte, voller schöner Erlebnisse und verrückter Zufälle. Ich sagte immer wieder zu ihr, es sei ein Zeichen des Himmels, dass sie damals ihren Flug verpasst hat.»
    *
    Hebräisch gehört zu den semitischen Sprachen. Anders als im Englischen oder Französischen war es mir unmöglich, Worte frei zu erschließen. Die Lehrerin im «Ulpan», der Sprachschule für Neueinwanderer, gab sich alle Mühe. Sie schaffte es, nur mit Gesten und Mimik Wörter

Weitere Kostenlose Bücher