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Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Titel: Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Teege , Nikola Sellmair
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können, mit diesem Rucksack voller Schuld? Wie hätte ich ihr unbefangen begegnen können?»
    Es wäre alles so kompliziert gewesen, eine verkrampfte Wir-reichen-uns-über-die-Gräber-die-Hand-Freundschaft.
    Heute, sagt Noa, könne sie mit Jennifers Geschichte umgehen. Sie kenne sie seit 20  Jahren und sehe in Jennifer nur die Freundin, nicht die Nazi-Enkelin: «Ich sagte zu ihr: Vergiss Amon Göth. Du bist Jenny! Bitte, komm!»
    *
    Jetzt bin ich zurück in Israel, bei Noa. Sie ist umgezogen, ich musste ihre Wohnung erst suchen. Nachdem wir uns umarmt haben und Noa mir die neuen Räume gezeigt hat, setzen wir uns auf ihre Terrasse in die Sonne, reden und beobachten das Treiben auf der Straße. Es ist wie immer, nur schöner, weil nichts mehr zwischen uns steht.
    Vor ein paar Wochen saß ich neben Noa im Dunkeln, als ihr Film in Ausschnitten auf der Berlinale gezeigt wurde. Es war so, wie ich es mir gewünscht hatte: Wir teilten diesen wichtigen Augenblick.
    In Tel Aviv läuft der Film nach Noas Drehbuch nun im Dizengoff-Center im Stadtzentrum. Am Abend gehen wir dort noch einmal gemeinsam ins Kino, um ihn in voller Länge zu sehen. Der Film heißt «Mabul». Auf der Leinwand sehen wir Tzahi als Vater. Ich mag die Geschichte über die Familie mit dem autistischen Sohn. Er zeigt, wie wichtig es ist, auch in schwierigen Zeiten zusammenzuhalten und nicht aufzugeben.
    Danach gehen Noa und ich in ein Café. Wir sprechen darüber, was wir schon alles miteinander erlebt haben. Wir sind uns näher als je zuvor. Es gibt nichts mehr zu verbergen, alles fühlt sich gut und richtig an.
    Nach einem kurzen Abstecher nach Jerusalem fahre ich nach Eilat. Zu Anat. Ich hatte Noa gebeten, ihr alles zu erklären.
    Jennifer Teege mit ihrer Freundin Noa in einem Café in Tel Aviv, 2011
    *
    Anat weint, als sie Jennifers Geschichte hört.
    Sie sieht sofort dieses Bild aus dem Film «Schindlers Liste» vor sich: der Mann auf dem Balkon, der zum Zeitvertreib Menschen erschießt. Jennifers Großvater.
    Anat hat den Film bei der Balkon-Szene ausgeschaltet. Sie ertrug sie nicht.
    Wenn Anat alte, verblichene Familienfotos zeigt, sagt sie oft dazu: «Der wurde erschossen, die wurde vergast …»
    Die Familie von Anats Mutter stammt aus Polen. Anats Urgroßeltern und ein Onkel wurden wahrscheinlich in Sobibor umgebracht – einem polnischen Vernichtungslager, in dem auch Amon Göth zeitweilig eingesetzt war, bevor er nach Krakau kam.
    Anats Vater war ein deutscher Jude aus Hannover, er floh 1935 nach Israel. Die Angehörigen, die in Deutschland blieben, wurden alle umgebracht.
    Einmal noch fuhr Anats Vater nach dem Krieg nach Deutschland, er kam zurück und sagte zu seinen Kindern: «Sie sind immer noch dieselben, sie haben sich nicht geändert.»
    Anats Vater hasste die Deutschen, und er hasste Gott, weil er all dies zugelassen hatte. Anat wuchs auf mit einem verbitterten alten Mann. Aber kurz vor seinem Tod sah er plötzlich nur noch deutsches Fernsehen, wollte nur noch Deutsch hören.
    Jennifer und Anat sitzen nebeneinander auf der Veranda vor Anats Haus im Kibbuz Eilot. Anat hat frischen Minztee gemacht und Datteln auf den Tisch gestellt. Sie ist barfuß wie die meisten hier, ihre blonden halblangen Haare sind zerzaust, sie trägt ein ausgeleiertes T-Shirt.
    Jennifer Teege mit ihrer Freundin Anat und deren jüngerem Sohn Stav im Kibbuz Eilot, 2011
    Kinder laufen über die gepflegten Rasenflächen. Mittlerweile ziehen junge Familien in den Kibbuz, weil ihre Kinder dort behütet und naturnah unter Gleichaltrigen aufwachsen können. Zwar gibt es immer noch Kinderbetreuung, aber die Kinder leben im Haus ihrer Eltern. Anat sagt, sie wäre nicht zu Alon in den Kibbuz gekommen, wenn ihre Söhne im Kinderhaus hätten aufwachsen müssen wie noch ihr Mann.
    Heute erinnert der Kibbuz Eilot an eine deutsche Reihenhaus-Siedlung: Kinderlachen und Katzenmaunzen, jeder kennt jeden. Aber der Geist hier ist immer noch ein anderer: Keine Hecken und Zäune trennen die Grundstücke, jeder gibt sein Einkommen an die Gemeinschaft ab, viel bleibt nicht für den Einzelnen.
    Jennifer Teege ist die Wüstenstraße hierher entlanggefahren, vorbei an den Siedlungen der Beduinen und den Schildern, die vor Kamelen auf der Straße warnen. Je länger sie durch die Wüste Negev fuhr, desto gelöster schien sie zu werden.
    Sie hat lange gebraucht für diesen Weg. Sie hat Krakau hinter sich gelassen und ein kleines Dorf in Bayern.
    Jennifer und Anat halten sich an den Händen,

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