Amore macchiato: Roman (German Edition)
Neugierig bleibe ich in der Tür stehen und spähe hinein. Im Innern drängeln sich circa dreißig antike Holzbänke auf kleinstem gefliestem Raum. Es gibt keine Fenster. Nur im Giebel lässt ein winziges Fenster zu, dass die Strahlen der gerade untergehenden Sonne den Altar erreichen, wo sie auf das geschnitzte Kreuz mit der daran hängenden Jesusfigur fallen. Ein friedlicher, unheimlicher Ort.
Fröstelnd ziehe ich meine Strickjacke fester um mich und trete schnell zurück ins Freie.
Nun aber zur Seeigelpasta!
Ich laufe einmal um die Kirche herum, eine geschwungene Auffahrt hinauf und stehe vor einem weiß getünchten Haus, das offenbar seit Hunderten von Jahren versucht, sich hinter den knorrigen Eichen und Büschen zu verstecken, die sich vor ihm breitgemacht haben.
Nur mit Mühe entdecke ich zwischen den Büschen den Durchgang zu einer aus dicken Balken gezimmerten Haustür und schlage mit dem Klopfring dagegen, der dort angebracht ist.
Für einen Moment höre ich gar nichts.
Eine oder zwei Minuten, die ausreichen, um eine diffuse Angst in mir hochsteigen zu lassen. Himmel, wo bin ich hier? Was für ein verwunschener Ort. Wenn mir hier etwas passiert, mich findet kein Men…
Geräusche im Inneren. Eine Tür wird entriegelt. Dann steht Riccardo in der Tür und strahlt mich an.
»Annika, herzlich willkommen! Wie schön, dass du den Weg hierher gefunden hast«, reißt er mich in Lichtgeschwindigkeit aus meinen Befürchtungen. Er tritt zur Seite, um mich eintreten zu lassen, und streckt mir die rechte Hand hin.
Ich mustere ihn neugierig. Er trägt ein einfaches weißes T-Shirt und Jeans und hält einen Kochlöffel in der linken Hand. Er strahlt etwas Fröhliches, Dynamisches aus.
»Ich habe noch schnell die Pasta ins Wasser geworfen, als du geklingelt hast«, erklärt Riccardo. »Komm rein.« Er weist ins Innere des Hauses.
»Hast du den Weg gleich gefunden?«, will er wissen, als wir in der Wohnstube stehen.
Die offene Art, mit der er mir unablässig in die Augen schaut, macht mich ganz kribbelig.
»Ja, alles super gelaufen, genau so, wie du es mir beschrieben hast«, beeile ich mich zu antworten und weiche seinem Blick aus, um mich im Raum umzusehen. Wir stehen in einem kreisrunden Zimmer. Wie die Kirche hat dieses ebenfalls keine Fenster, sondern ist nur mit jeweils einem winzigen Guckloch auf beiden Seiten versehen.
»Was ist das hier?«, frage ich. »War das ein Gefängnis?«
»Nein, das ist eine traditionell sardische Wohnstube und typisch für die Region hier«, antwortet Riccardo und legt den Kochlöffel auf einem schweren, dunklen Esstisch in der Mitte des Raumes ab. »Meine Urgroßeltern haben schon hier gewohnt. Weißt du, Sardinien ist die Insel des Banditentums«, erklärt er, geht ein paar Schritte und zieht eine der schweren Türen zu den Räumen dahinter zu sich ran. »Wenn Banditen einen Hof angegriffen haben, versammelte sich die ganze Familie zusammen mit ihren Tieren hier und verrammelte die Tür zum Rest des Hauses. Durch diese Luken hier«, er deutet auf die Öffnungen an den Seiten, »haben sie die Gewehre gehalten und auf die Angreifer geschossen, in der Hoffnung, dass sie sich bald wieder verziehen.«
Ich lehne mich an eine Kommode an der runden Wand und betrachte ihn fasziniert.
Ist es nur seine Geschichte oder ist es eher er selbst?
»Wenn sie sich nicht verzogen, sondern das Ganze in einen Belagerungszustand ausartete«, fährt Riccardo fort, »musste keiner verhungern. Die Küche ist im Keller und die Vorräte auch.« Er tippt auf das Geländer einer geschmiedeten Treppe direkt neben ihm. »Komm mit runter, ich zeig’s dir.«
Wieder dieser entwaffnend direkte Blick. Dazu legt er wie zufällig eine Hand auf meine Schulter und schiebt mich zu der steilen Treppe.
Die Küche ist im Gegensatz zur Wohnstube rechteckig und in die Wände sind sogar – offenbar nachträglich – Kasemattenfenster eingelassen. Am Kopfende des Raumes steht ein Schmiedeofen, über dem ein paar uralte Pfannen baumeln. Sämtliche Schränke und Regale sind in die Wand eingelassen und mit gezimmerten Holztüren verschlossen. Es gibt einen modernen Herd mit Dunstabzugshaube, eine Spüle und daneben einen großen Kühlschrank nach amerikanischem Vorbild aus den Sixties. Das scheint der einzige Stilbruch in diesem traditionsreichen Haus zu sein, wenn auch ein gelungener.
Riccardo hat Geschmack, stelle ich fest.
Auf dem Esstisch, ebenfalls in der Mitte des Raumes, sind zwei Gedecke aufgelegt. Daneben
Weitere Kostenlose Bücher