Amore macchiato: Roman (German Edition)
Vielleicht war er beschäftigt. So wie ich. Vielleicht wollte er bloß nicht stören.
Oder?
Womöglich hat er sich mittlerweile das Gleiche gefragt, was Markus mir an den Kopf geworfen hat: Wo soll das mit uns hinführen? Wir haben nie darüber gesprochen. Warum auch? Was soll man einem Menschen nach so kurzer Zeit an Versprechungen und Zusagen abringen? Auf der anderen Seite stand die Frage immer unausgesprochen im Raum, je öfter wir uns gesehen und wie Seelenverwandte verstanden haben. Vielleicht sollte ich das Thema mal ansprechen?
Und wenn ihm doch etwas passiert ist?
Mit plötzlich klammen Händen biege ich von der Straße ab zu Riccardos Haus. Langsam lenke ich den Wagen an der Kirche vorbei, schalte den Motor aus und steige ängstlich aus.
Riccardos Auto parkt unschuldig in der Einfahrt, sein Wohnwagenanhänger gleich daneben.
Mit einem Mal kommt mir das alles samt der Ruhe hier oben bedrohlich vor.
Zögernd erklimme ich die Stufen zu seiner Haustür und klingele. Wie bei meinem ersten Besuch klopft mir das Herz bis zum Hals. Aber dieses Mal ist es anders. Ich verspüre eine diffuse Angst.
Niemand öffnet.
Ich gehe die Haustreppe wieder hinab und schlendere langsam zum Wohnhaus von Riccardos Großeltern hinüber. Der kleine, ungepflegte Innenhof liegt ruhig da, wie ich ihn vor wenigen Tagen zum ersten Mal gesehen habe. Unwillkürlich habe ich das Gefühl, beobachtet zu werden, und drehe mich um.
Ein paar Meter entfernt von mir sitzt Riccardos Großmutter Maria in der Abendsonne auf einer Bank und putzt Bohnen, die sich auf dem Tisch vor ihr in großen Plastikschüsseln auftürmen.
»Signora, buona sera«, rufe ich überrascht. »Wie geht es Ihnen?«
Die alte Dame senkt den Blick, legt wortlos das Küchenmesser neben der Schüssel auf dem Tisch ab, erhebt sich und verwindet schnellen Schrittes ins Haus.
Komisch.
Ob sie Riccardo holt?, frage ich mich.
Die Haustür wird von innen geschlossen, und zu allem Überfluss zieht sie nun auch noch mit energischem Schwung eine bunte Gardine vor ein kleines Ausguckfenster neben der Tür.
Nein, sie holt ihn nicht. Sie ist auf der Flucht vor mir, durchfährt es mich entsetzt.
Paula hatte recht. Irgendetwas liegt hier ganz, ganz schlimm im Argen.
Wie vom Donner gerührt stehe ich da und starre auf das verriegelte Haus, in dem die beiden mich vor wenigen Tagen noch mit so viel Herzlichkeit und Wärme empfangen haben. Kein Ton ist zu hören.
Plötzlich vernehme ich hinter mir ein Scheppern und ein lautes Fluchen. Ich fahre herum und sehe weiter hinten im Schuppen Riccardo, der sich nach einer Kiste mit Metallteilen bückt, die ihm offenbar gerade heruntergefallen ist.
»Riccardo!«, rufe ich und laufe auf ihn zu. »Riccardo, ciao! «
Er zuckt zusammen. Offenbar hat er mich erst jetzt bemerkt. Sein Gesichtsausdruck verhärtet sich, als er mich sieht, seine Augen funkeln mich abweisend an.
»Annika«, sagt er nur, » vattene – geh!«
Ich bleibe erschrocken stehen, Paulas Worte schießen mir erneut durch den Kopf. Offenbar habe ich tatsächlich etwas gesagt oder getan, womit ich völlig daneben lag. Nur um Himmels willen, was?
»Riccardo, bitte, lass uns reden, was ist denn …?«
»Annika, geh! Ich will dein Geschwafel dazu nicht hören!«, brüllt Riccardo mit einem Mal.
Ich fahre zusammen, noch nie habe ich ihn auch nur ansatzweise verärgert oder gar so böse gesehen.
»Riccardo, ich …« Ich strecke beide Hände nach ihm aus und schüttele entsetzt den Kopf. »Bitte sag mir …«, setze ich hilflos erneut an.
»Ich sage dir gar nichts, und jetzt verschwinde endlich!«, brüllt Riccardo erneut und macht einen fast bedrohlichen Schritt auf mich zu.
Ich mache den Mund schnaufend auf und wieder zu. »Bitte, ich …«, flehe ich.
Er lässt die Werkzeugkiste erneut zu Boden fallen, läuft an mir vorbei und verschwindet in Richtung Hinterhof der Anlage.
Nach einer Schrecksekunde, rappele ich mich auf und folge ihm. Ich laufe die kleine Kurve um den alten Schuppen herum und – stehe Angesicht zu Angesicht nonno Antonio gegenüber.
Ich schreie laut auf und trete ein paar Schritte zurück, woraufhin ich ins Stolpern komme und beinahe hinfalle.
Riccardos Großvater baut sich vor mir auf wie ein Elefantenbulle vor seiner Herde. Er ist unrasiert, wirkt ungekämmt und steht breitbeinig in seiner Pfadfinderkleidung vor mir wie ein Bandit in alten Zeiten. In der Hand hält er einen mannshohen, knüppelartigen Wanderstab, mit dessen Spitze er nun
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