dass Malte mich nur als seinen kleinen Schützling sah, auch wenn ich ihm andererseits natürlich dankbar war, dass er mich vorgeschlagen hatte. Aber ich würde ihm und meinen Eltern und allen anderen schon beweisen, was in mir steckte und dass ich zu Recht hier war. Langsam hatte ich die Nase voll davon, dass alle mich ständig unterschätzten.
Nur Dieter traute mir offenbar etwas zu: Ich sollte nämlich in den nächsten zwei Tagen auf eigene Faust Taormina und die Höfe der Umgebung erkunden, das war der Plan. Dafür bekam ich das ganze Wochenende Zeit und einen Leihwagen obendrauf. Dieter erwartete von mir im Gegenzug am Sonntagabend einen ausführlichen Bericht mit Insidertipps von den Einheimischenund konkreten Empfehlungen für Aufnahmen in der Stadt, inklusive detailliertem Drehplan.
Ich war begeistert. Auf eigene Faust eine Stadt erkunden, recherchieren und Interviews führen und die Informationen so aufbereiten, dass sich daraus ein Drehplan für unseren Film ergäbe! So etwas hatte ich im Studium erst ein einziges Mal gemacht und das in einer Gruppenübung, die reine Theorie blieb. Mit dieser Aufgabe war ich richtig gefordert, und Dieter versprach mir darüber hinaus, dass ich, wenn ich meine Sache gut machte und wir meine Vorschläge verwenden würden, den Drehplan anschließend als Semesterarbeit an der Hochschule einreichen könnte. Außerdem würde damit definitiv mein Name im Abspann auftauchen und meine Regieassistenz wäre offiziell dokumentiert. Da würde selbst Mama stolz auf mich sein müssen.
Taormina böte reichlich Material für unser Thema, da war ich sicher. Hier gab es genug zu sehen, und die Stadt war ausgesprochen touristisch geprägt. Die Agriturismi der Umgebung profitierten von den Events und Veranstaltungen, die in Taormina stattfanden und viele Touristen anzogen. Wanderurlauber liebten Ausflüge ins nahegelegene Castelmola und kosteten nur zu gern die regionalen Spezialitäten.
Dieter selbst würde am Samstag zum Flughafen fahren, den Rest der Crew abholen und zwei Kleinbusse mieten, in denen Equipment und Crew ausreichend Platz hatten. Am Sonntagabend war die entscheidende Teambesprechung angesetzt, bis dahin sollten auch Ole und Malte den Drehplan für die Mühle fertig haben, wo amMontag die ersten Aufnahmen gemacht werden sollten. Somit gab es für Malte und mich am Wochenende wohl kaum eine Gelegenheit, ein wenig Romantik auf- und schlechte Laune abzubauen.
Es war mir ein Rätsel, warum mein Freund so gereizt war. Klar, dieser Film war auch für seine weitere Laufbahn bei Studio Berlin wichtig, und es wartete eine Menge Arbeit auf ihn. Dieter wollte Ergebnisse sehen, das spürte man. Andererseits war das ja logisch, dafür waren wir schließlich hier. Die Dreharbeiten würden uns kaum Freizeit lassen, von einem Italienurlaub war das hier weit entfernt. Meine Eltern hatten ja keine Ahnung. Heute war schon Tag vier, und ich hatte meinen Bikini noch nicht einmal ausgepackt. Zugegeben, die Temperaturen waren auch noch nicht geeignet dafür. Aber warum schlechte Laune verbreiten? Es war immer noch Italien!
Wenigstens eine war bereit, meine Freude mit mir zu teilen:
From:
[email protected]To:
[email protected]Date: March 26th, 00:53h
Subject: Taormina
Charly,
es ist so weit: Ich darf meine eigenen Ideen zu einer echten Filmproduktion beitragen! Morgen fahre ich allein nach Taormina und recherchiere. Bin schon gespannt, wie ich mich mit meinem Italienisch durchschlage. Werde auf jeden Fall noch mal indiese Eisdiele zurückkehren, in die Dieter uns heute eingeladen hat – das Feigensorbet war einfach himmlisch. Ich wünschte, Du wärst hier, wir hätten bestimmt eine Menge Spaß.
Auf jeden Fall mehr als Malte, denn er weiß die Besonderheiten dieser Gegend leider noch nicht zu schätzen, nicht einmal die kulinarischen. Mit verstopfter Nase schmeckt er eh nicht viel, deshalb ernährt er sich derzeit nur von Pizza Margherita. Aber ich hab gestern zum ersten Mal Muscheln bestellt – ich weiß, eigentlich wollte ich hauptsächlich vegetarisch essen, aber die haben hier alles ganz frisch und aus schonender Zucht, und ich habe Muscheln immer schon gern gegessen. Na ja, Malte fand das natürlich nicht so gut, aber ich habe schließlich nie behauptet, eine Vollblutvegetarierin zu sein.
Diesen Paolo hab ich seit Messina übrigens noch nicht wieder gesprochen. Würde echt gern wissen, was das für Typen waren, mit denen er sich da gestritten hat,