Amore siciliano
jeden Bissen auf der Zunge zergehen.
Gegenüber der Pasticceria an der Piazza Immacolata lag ein riesiger Neubau, der aussah wie ein Amtsgebäude. Der architektonische Stil harmonierte auf seltsame Weise mit den älteren Häusern der umgebenden Restaurants und Läden.
»Dass Messina überhaupt noch über Gebäude verfügt, die älter als vierzig Jahre sind, ist ein Wunder«, erklärte Ole, der meinem Blick folgte. »Diese Stadt ist Anfang des letzten Jahrhunderts vollkommen von einem Erdbeben zerstört worden, und kaum hatten die Überlebenden sich ihre Häuser einigermaßen wieder aufgebaut, da kam derZweite Weltkrieg, und wieder ging alles zu Bruch. Ich glaube, die Santissima Annunziata dei Catalani, an der wir vorhin vorbeigegangen sind, ist die einzige Kirche aus dem Mittelalter, die die Zeit überstanden hat. Vieles wurde zwar in ähnlichem Stil wieder aufgebaut, aber die Ursprünglichkeit ist natürlich dahin.«
»Da hat einer aber brav seinen Reiseführer studiert«, lästerte Malte, doch diesmal ging mir sein Genörgel zu weit, und ich wies ihn in die Schranken:
»Also, ich finde es interessant und würde gern noch mehr über die Stadt und überhaupt über Sizilien erfahren. Wenn man die Geschichte einer Gegend kennt, kann man auch ihre Bewohner besser einschätzen. Ich wusste zum Beispiel gar nicht, dass Sizilien so viel vom Krieg abbekommen hat!«
»Mäuschen, das war ein Weltkrieg, da haben alle ihr Fett weggekriegt, nicht nur Berlin. Vielleicht sollte ich dir ein Buch über Italien kaufen, dann kannst du das ganz genau nachlesen, wer hier was zerbombt und wieder aufgebaut hat.«
»Danke«, pflaumte ich ihn an. »Mir reicht es im Moment, so viel wie möglich erzählt zu bekommen oder selbst zu sehen, und im Gegensatz zu dir bin ich nämlich offen und interessiert und sehe nicht alles nur negativ so wie du. Und was ich nicht weiß, das schaue ich eben später im Internet nach.«
»Du machst dich viel zu abhängig von Google und Wikipedia und diesem ganzen Zeug«, stänkerte Malte weiter, aber ich beschloss, nicht mehr zu antworten. Es war offenbar grad zwecklos, er war auf Krawall aus.
»Das schadet deiner Objektivität, dich immer nur auf das Internet zu verlassen«, setzte er nach, doch meine Aufmerksamkeit war nun auf die Straße gelenkt, und ich hörte ihm nicht mehr richtig zu. Etwas anderes hatte mein Interesse geweckt:
Vor dem Tor des Amtsgebäudes standen zwei Männer und diskutierten mit weit ausladenden Gesten. Die Diskussion schien sich zu einem handfesten Streit zu entwickeln, und ihre Gestik wurde so aggressiv, dass ich damit rechnete, gleich eine Prügelei zu sehen. Doch Passanten blieben stehen und mischten sich in die Diskussion ein. Nun winkte der Ältere ab, dafür traten zwei weitere Männer hinzu und schienen dem Jüngeren zu drohen. Huch, war das etwa ein Messer, was der eine in der Hand hielt? Ich starrte wie gebannt auf den jüngeren Mann. Der lachte nur kurz auf, stieß die Männer zur Seite und stieg in einen vor dem Gebäude geparkten Geländewagen. Auch die anderen drei Männer verließen den Eingangsbereich des Gebäudes, stiegen in eine wartende Limousine und fuhren davon, während die Passanten noch kurz weiterdiskutierten und sich dann wieder zerstreuten.
Das war ja wie eine Szene aus einem Mafiafilm! Ein Beinahekampf auf offener Straße! Und immerhin war ich hier auf Sizilien, es war also durchaus möglich, dass die Männer zur Cosa Nostra gehörten.
Der Jeep fuhr mit quietschenden Reifen an, und kam die Via Santa Cecilia hinauf. Als er an uns vorüberfuhr, starrte ich ungläubig auf den Fahrer: Das war ja Paolo! Hundertprozentig! Dieses markante Gesicht war so unverkennbar, das hätte ich im Schlaf wiedererkannt, obwohlich ihn erst einmal gesehen hatte. Seltsam. Was machte der denn hier in Messina? Und wer waren die Männer, mit denen er gestritten hatte, konnten das wirklich Mafiosi sein? Auf jeden Fall schien Paolo in Schwierigkeiten zu stecken.
Ich sah dem Wagen nach, der kurz hinter der Tabaccheria auf die Hauptstraße abbog, und versuchte, mir das Kennzeichen zu merken: BE 807 irgendwas. Ob das in dem Wagen wirklich unser Nachbar gewesen war? Ob die de Vivos etwas über diese Angelegenheit wussten? Simona? Ach, wahrscheinlich spielte mir meine Phantasie nur einen Streich. Es war bestimmt nur jemand, der Paolo sehr ähnlich sah. Ich sollte nicht zu viel über diesen Mann nachdenken.
»Was ist denn mit dir, Maus, träumst du?«, fragte Malte, der sich wieder
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