Amors Glücksfall (German Edition)
Biertitten hängt und nach Luft schnappt.
„Was lachst du?“, fragt Paul und reißt mich aus meinen Gedanken. „Glaubst du mir etwa nicht?“
Ich lache erneut auf. Wenn er nur wüsste!
„Du glaubst mir doch auch nicht“, sage ich zwischen den einzelnen Lachanfällen.
„Wer sagt das?“
„Du!“
„Und deswegen hänge ich mich so in die Sache rein, oder?“ Er klingt beleidigt. Ich stehe auf und ziehe mir das Hemd über. Nur vorsichtshalber. Falls ich ihn doch umarmen sollte. Als ich die Socken zusammensuche und ohne sie anzuziehen, in die Schuhe schlüpfe, steht er auf. „Willst du schon los?“ Ich gehe um die Couch herum, nehme die Tasche hoch und hänge sie mir um. Den rosa Regenschirm stopfe ich hinein und sehe wieder zu Paul. „Heißt es, ich kann die Unterlagen vorbereiten?“ „Ne“, denke ich: „das heißt es nicht.“
„Du machst es ja doch“, spreche ich stattdessen aus und gehe zum Ausgang. „Danke, dass du an mich glaubst“, sage ich, bevor ich die Tür hinter mir schließe und auf den Flur trete. Er sagt noch etwas, was ich nicht verstehe, aber auch so erahnen kann. „Ich rufe dich an“, oder so. Dass wir die Einzelheiten besprechen müssen, ist mir klar. Ich nicke, ohne dass Paul es sehen kann, weil die Tür längst zugefallen ist und gehe Richtung Treppenhaus. Erleichtert, eine Lösung gefunden zu haben, stelle ich fest, dass Frau Reis nicht mehr da ist. Der Empfang ist leer, meine Fußabdrücke sind derweil auch verschwunden. Es ist, als wäre ich nie da gewesen. Nur noch das Licht, das durch einen Spalt auf das Parkett vor Pauls Büro fällt, verrät, dass überhaupt noch jemand da ist. Pauls Stimme, er telefoniert offensichtlich, lässt mich glauben, dass ich doch da gewesen bin und mir das Gespräch nicht einfach eingebildet habe. „Er glaubt an mich“, denke ich, lache leise und gehe raus.
Der Regen hat längst aufgehört. Ich schlendere zwei Straßen weiter, sammle vor dem Blumenladen mein umgefallenes Fahrrad vom Boden auf und fahre heim, um meinen ersten Erfolg seit Wochen gebührend zu feiern. Vor lauter Freude vergesse ich sogar zeitweise, dass ich nicht einmal genug Geld für ein Dosenbier von der Tanke habe. Eine zusammengedrückte, leere Dose Bier vor der Tankstelle erinnert mich allerdings wieder daran. Doch meine gute Laune ist nicht zu bremsen. Das Wissen darum, dass morgen fast alles wieder gut sein wird, lässt mich mit Wind in den fehlenden Haaren durch die Straßen heizen und Richtung Lorenzos Wohnung hinaufrennen. Vor Hunger verdränge ich sogar Lorenzos Übergewicht. Nicht, dass ich mich schlank fühle, aber ich schnaufe nicht mehr. In den letzten zwei Wochen hat entweder Lorenzos Körper ein paar Kilo abgenommen - ich tippe mal auf zehn - oder ich habe mich an mein vorübergehendes Domizil tatsächlich gewöhnt. „Wir werden nie Freunde werden“, denke ich, während ich die Kühlschranktür aufziehe und die fast leere Flasche Baileys anstarre. Dagegen spricht schon allein der Unterschied der Geschmäcker: Frauen, Männer – Baileys, Bier. „Aber zumindest feiern wir heute gemeinsam“, beschließe ich, nehme das pappsüße Sahnegebräu und ein kleines Glas mit und schlendere Richtung Couch. „Lorenzo liebt dieses Zeug, also kann das auch für mich nicht so tragisch sein“, rede ich mir ein. Immerhin sind wir jetzt Leidensgenossen. Und überhaupt: „Wer braucht schon Bier, wenn er noch Reste von Baileys hat?“, grinse ich und lasse mich in die Sofakissen sinken.
Später schreibe ich noch eine E-Mail an Frau Fuchs. Ich setze Paul in CC, damit er auf dem Laufenden bleibt, und gebe den Auftrag zur Depotauflösung weiter. „Bestens“, gebe ich ein, statt eines festen Limits, bei dem die einzelnen Aktien verkauft werden sollen, und fühle, wie mein Herz dabei blutet. Kein einziger meiner Aktienwerte liegt in der Gewinnzone, das weiß ich genau. Dafür muss ich nicht einmal nachschauen, bei welchen Kursständen ich sie gekauft habe. Der Aktienmarkt ist seit Monaten rückläufig und meine letzte komplette Depotumschichtung ist keine fünf Wochen her.
In meinem Inneren schreit der Fondsmanager von einst laut und entschieden auf, ich aber klicke auf „Enter“ und schicke damit den Auftrag ab. Morgen früh wird die Sache amtlich. Frau Fuchs gibt ihr Okay dazu und verwendet den Erlös für wichtigere Dinge als meinen persönlichen Profit, um den sich der Fondmanager in mir bisher so vorzüglich gekümmert hat. Jetzt ist es egal.
Ich schreibe
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