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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gord Rollo
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Fahrer auf. »Setz dich hin, die Limousine rollt schon an.«
    »Ja, schon gut«, sagte ich, und da niemand auf dem Beifahrersitz saß, stellte ich meinen Koffer ab und kletterte neben den Fahrer. »Was dagegen, wenn ich mich hierhin setze?«
    »Ganz und gar nicht. Aber halt dich gut fest, denn ich bekomme mächtig Ärger, wenn ich die Limousine aus den Augen verliere.«
    Kaum hatte er es ausgesprochen, trat er das Gaspedal durch, und wir schossen hinter dem rasch entschwindenden Luxusschlitten her. Dann schaltete er die Radioanlage ein. Aus den Lautsprechern dröhnte Jazz. Die Musik war gut, aber viel zu laut für meinen Geschmack. Eine Unterhaltung war nahezu unmöglich, doch das war vielleicht gut so und womöglich der einzige Grund für die übertriebene Lautstärke. Der Fahrer lehnte sich herüber und brüllte mir praktisch ins Ohr.
    »Entspann dich, Kumpel, wir haben gute drei, dreieinhalb Stunden Fahrt vor uns.«
    Er zwinkerte mir kurz zu, dann richtete er die Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Es blieben die einzigen Wörter, die ich während der Fahrt zu hören bekam, die laut der Digitaluhr auf dem Armaturenbrett zwei Stunden und fünfzig Minuten dauerte. Gott allein wusste, wo wir uns befanden. Ich vermutete, irgendwo südlich von Buffalo, wahrscheinlich nahe der Südgrenze des westlichen New York. Ich hatte ein Straßenschild gesehen, das auf den Naturschutzpark Allegheny hinwies, und eine Ortstafel einer Kleinstadt namens Millhaven, wo immer das liegen mochte. Als der Fahrer die Musik schließlich leiser drehte, um uns mitzuteilen, dass wir fast ›zu Hause‹ wären, wie er es ausdrückte, seufzte ich zugleich nervös und erleichtert, dann streckte ich die Beine und den Rücken wie eine erwachende Katze.
    Und tatsächlich, innerhalb von wenigen Minuten bog die weiße Limousine auf eine als ›Privatweg‹ gekennzeichnete Asphaltstraße. Durch Bäume hindurch konnte ich in der Ferne undeutlich ein riesiges Backsteingebäude ausmachen. Die Straße wand sich etwa eine Meile durch den Wald, bis sie daraus hervorbrach und mir den ersten genauen Blick auf Nathan Marshalls Anwesen ermöglichte.
    Um ehrlich zu sein, ich war enttäuscht. Es handelte sich um ein dreigeschossiges, rechteckiges Gebäude mit etwas, das an ein Turmzimmer erinnerte, an der vorderen linken Ecke. Auf der Spitze des Turms wehte eine US-Flagge, die ein wenig ausgebleicht wirkte, als wäre sie seit zwanzig Jahren nicht mehr eingeholt worden. Auch der Rest des Gebäudes sah vernachlässigt aus und mutete mehr wie eine verwahrloste mittelalterliche Burg als eine topmoderne medizinische Forschungseinrichtung an. Ich wusste zwar nicht genau, was ich erwartet hatte, aber mit Sicherheit nicht dieses architektonische Ungetüm.
    »Nicht besonders schön, was?«, meinte ich zum Fahrer.
    »Das kannst du laut sagen, Kumpel, aber lass dich davon nicht täuschen. Doc Marshall ist ein verdammt guter Chirurg, und das Haus ist nur mit dem besten Zeug ausgestattet. Du kennst doch das Sprichwort, dass der Schein trügen kann, nicht wahr? Tja, auf diesen Ort trifft es zu. Du wirst schon sehen.«
    Die Limousine rollte vor die Doppeltür des Eingangs, und wir hielten dahinter an.
    »Alles aussteigen«, sagte der Fahrer. »Oh, und ihr zwei da hinten wartet kurz, ich hole eure Stühle.« Er klopfte mir auf den Arm und fragte: »Kannst du mir mit den Rollstühlen helfen?«
    »Äh ... sicher.«
    Wir gingen zum Heck des Vans, holten zwei klapprige alte Rollstühle heraus und halfen den beiden Bärtigen hinein. Schockiert stellte ich fest, dass jedem ein Bein fehlte, wenngleich nicht dasselbe. Es war mir nicht aufgefallen, als ich in den Wagen gestiegen war. Ich musste einfach fragen.
    »Also, Leute, kriegt das bitte nicht in den falschen Hals, aber ihr habt beide schon ein Bein verloren. Braucht ihr nicht beide Arme, um zurechtzukommen?«
    »Doch«, antwortete der mit dem roten Bart, dem das linke Bein fehlte. »Aber was soll die Frage?«
    »Na ja, ich meine ja nur. Wenn ihr schon im Rollstuhl sitzt, wie könnt ihr da einen Arm verkaufen? Ihr könnt euch dann nicht mehr selbst fortbewegen. Jedenfalls nicht besonders leicht.«
    Kurz hatte ich das Bild eines frustrierten Mannes mit nur einem Arm und einem Bein vor Augen, der mit dem Rollstuhl versuchte, die Straße zu überqueren, und stattdessen nur im Kreis herumfuhr.
    »Wovon redest du, Mann?«, meldete sich der andere zu Wort, der einen braunen Bart hatte. »Ich bin hier, um mein Bein zu verkaufen, keinen Arm.

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