Amsterdam-Cops 04 - Tod eines Strassenhaendlers
sagte der Commissaris grob. «Geh bloß nicht mit diesem Wort hausieren, de Gier.»
Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her.
«Was macht Ihr Rheuma, Mijnheer? Wie ich höre, haben Sie für einige Tage das Bett gehütet.»
«Unheilbar», sagte der Commissaris liebenswürdig. «Die Medikamente helfen ein wenig, aber nicht viel. Ich mag die Medizin sowieso nicht. Schreckliche kleine Pillen, Chemikalien, mehr nicht. Es hilft, in einem heißen Bad zu liegen, aber wer möchte schon den ganzen Tag in einem heißen Bad verbringen wie ein Frosch in den Tropen?»
«Ja», sagte de Gier und versuchte, über eine passendere Bemerkung nachzudenken.
«Und sie ist nicht verrückt», sagte der Commissaris.
«Ich begreife das nicht», sagte de Gier bedächtig. «Die Person ist unnatürlich, absolut unnatürlich, und Sie besuchen sie. Empfinden Sie keine Furcht oder Abscheu?»
«Nein. Sie ist anders, aber das ist auch wirklich alles. Einige Leute mit Gebrechen sehen grausig aus, wenn man ihnen das erstemal begegnet. Aber man gewöhnt sich an ihre Verunstaltung, vor allem wenn sie reizende Menschen sind, so wie Elisabeth. Sie ist eine gütige und intelligente Person, warum sollte man sich also vor ihr fürchten? Mir scheint, du fürchtest dich vor deinen eigenen Träumen. Du träumst doch, nicht wahr?»
«Ja, Mijnheer.»
«Auch Alpträume?»
«Ja.»
«Was passiert, wenn du einen Alptraum hast?»
«Wenn er schiefgeht, wache ich schweißgebadet und mit einem Schrei auf, aber gewöhnlich kommt es nicht dazu. Irgendwie kann ich meine Träume kontrollieren, mich jedenfalls von den grausigsten Teilen freimachen. Ich habe plötzlich eine Waffe in der Hand und bringe jeden Verfolger um, oder an der richtigen Stelle steht ein Auto, in das ich springe, und sie können mich nicht einholen.»
«Sehr gut», sagte der Commissaris und lachte. «Aber du entkommst nicht immer und leidest dann.»
«Ja», sagte de Gier widerwillig.
«Aber warum? Der Traum ist ein Teil von dir, nicht wahr? Er ist dein eigener Geist. Warum sollte dich dein eigener Geist ängstigen?»
De Gier blieb stehen. Sie waren jetzt wieder an der schmalen Fußgängerbrücke. De Gier stand vor dem Commissaris, so daß dieser ebenfalls stehenbleiben mußte.
«Aber ich kann meinen Träumen nicht ausweichen, nicht wahr, Mijnheer? Ich kann jedoch dem … nun, diesem Gespenst ausweichen. Es macht mir Angst. Ich brauche nicht hinzugehen.»
«Hätte ich dich nicht mitnehmen sollen, Brigadier?» fragte der Commissaris ruhig.
«Nun, doch, Mijnheer. Vielleicht kann es uns bei den Ermittlungen helfen. Es wohnt in dieser Gegend und hat Polizeiausbildung. Vielleicht ist das sehr nützlich. Ja, es war gut, daß Sie mich mitgenommen haben.»
«Und?»
«Aber Sie können nicht verlangen, daß mir diese Erfahrung gefällt.»
«Mir ist nicht bewußt, von dir verlangt zu haben, daß dir Elisabeths Gesellschaft gefällt.» Der Commissaris lächelte.
«Nein. Ja, vielleicht nicht. Aber Sie wollten mich nicht …»
«Was wollte ich nicht?»
De Gier hob hilflos die Hände und ging weiter, langsam, so daß der Commissaris mitkommen konnte.
«Wir sind alle miteinander verbunden», sagte der Commissaris sanft. «Elisabeth ist ein Teil von dir und du von ihr. Es ist besser, du siehst dieser Tatsache ins Auge.»
Sie kamen zum Haus der Rogges, wo Grijpstra an der Tür wartete.
«Nichts, Mijnheer», meldete Grijpstra. «Das Gebäude auf dieser Seite ist ein Lagerhaus und gehört Abe Rogge. Es ist voller Waren, Wolle und verschiedene Stoffe. Esther Rogge hat mir die Tür geöffnet. Da ist nichts. Die Nachbarn auf der anderen Seite haben nichts Besonderes gesehen, aber sie behaupten, es seien nachmittags eine Menge Leute vorbeigegangen. Die diensttuenden Polizisten hätten jeden durchgelassen, der hier wohne, ohne nach dem Ausweis zu fragen.»
«Hast du das Hausboot untersucht, Grijpstra?»
«Ja, Mijnheer. Es ist ein Wrack, wie Sie sehen. Die Fenster zerbrochen, und drinnen sieht’s auch nicht besser aus. Ich hab nichts Außergewöhnliches gefunden. Viel Abfall, ein abgebrochenes Fischmesser, ein Plastikeimer, einige verrostete Angelhaken und die übliche Kollektion gebrauchter Präservative. Ich hab auch das Dach geprüft, mußte aber vorsichtig sein, weil es ebenfalls verrottet ist, voller Löcher.»
«Du meinst also, daß niemand von dort aus mit einer Muskete geschossen hätte? Oder mit Kugeln geworfen?»
«Ja, Mijnheer.»
Die Barkasse war zurückgekommen und wartete
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