Amsterdam-Cops 04 - Tod eines Strassenhaendlers
erste Mal. Totschlag, hast du gesagt? Oder Mord? Ich hab einige Morde gesehen, als ich noch bei der Polizei war, aber Gott sei Dank nicht zu viele.
Amsterdam ist keine mörderische Stadt, aber es wird jetzt schlimmer. Das liegt an diesen neumodischen Drogen, meinst du nicht auch?»
«Sie waren bei der Polizei?» fragte de Gier mit unerwartet hoher Stimme. Der Commissaris versetzte ihm unter dem Tisch einen boshaften Tritt, und de Gier rieb sich das Schienbein.
«Eerste Konstabel», sagte Elisabeth stolz, «aber das ist schon einige Jahre her, bevor ich mich zurückzog. Meine Gesundheit war etwas schwach, wissen Sie. Aber mir gefiel die Arbeit, besser als Toilettenfrau zu sein. Fünf Jahre bei der Polizei und dreißig Jahre in den Toiletten. Ich glaube, ich kann mich noch an die meisten Tage als Polizist erinnern, aber dann passierte nicht mehr viel, als ich Fußböden schrubbte und Wasserhähne putzte und Handtücher und Seife brachte. Und all die pissenden Männer, den ganzen Tag pissen, pissen, pissen. Am Ende glaubte ich, sie täten nichts anderes. Hihihihihi.»
Der Commissaris lachte und schlug sich auf die Schenkel und trat de Gier noch einmal unter dem Tisch. De Gier lachte auch.
«Ich verstehe», sagte er, nachdem er aufgehört hatte zu lachen.
«Aber erzähle mir von Abe Rogges Tod, Commissaris», sagte Elisabeth.
Der Commissaris sprach eine ganze Weile; Elisabeth nickte und rührte in ihrem Kaffee und schenkte noch mehr Kaffee ein und bot Kekse an.
«Ja», sagte sie schließlich, «ich verstehe. Und du möchtest, daß ich herausfinde, was mir nur möglich ist. Ich verstehe. Ich gebe dir Bescheid. Ich werde mich in den Geschäften umhören und bei den vielen Leuten, die ich hier kenne. Es wird Zeit, daß ich einige Besuche mache.»
Der Commissaris gab ihr seine Karte. «Du kannst mich auch abends anrufen. Meine Privatnummer steht auf der Karte.»
«Nein», sagte Elisabeth. «Ich rufe Männer nicht gern zu Hause an. Die Frauen haben es nicht gern, wenn eine alte Jungfer plötzlich ihren Göttergatten sprechen will.»
Der Commissaris lächelte. «Nein, vielleicht hast du recht. Nun, wir müssen uns wieder auf den Weg machen, Elisabeth, vielen Dank für den Kaffee. Und den Klingelzug hast du wunderschön gemacht.»
«Commissaris», sagte de Gier, als sie wieder am Ufer standen.
«Ja?»
De Gier räusperte sich. «War das wirklich Ihr Freund, Commissaris?»
«Gewiß. Ich hab dich gerade noch rechtzeitig getreten, nicht wahr? Ich dachte, ich hätte dich gewarnt, ehe wir hineingingen. Das, wie du dich ausdrücktest, war einmal der Eerste Konstabel Herbert Kalff. Er hat zeitweilig unter mir gedient und ist in diesem Stadtteil Streife gegangen, aber er hatte ein Problem, wie du verstehen wirst. Er dachte, er sei eine Frau, und diese Idee wurde immer stärker. Wir haben ihn für ein Jahr krankgeschrieben, und er war mehr oder weniger in Ordnung, als er wiederkam, aber dann fing es von neuem an. Er behauptete, er sei ein Mädchen und wolle Elisabeth genannt werden. Er wurde wieder krankgeschrieben, und als sich nichts änderte, konnten wir ihn nur verabschieden. Zu dem Zeitpunkt war er eine Frau. Die medizinische Wissenschaft konnte damals nicht viel für sie tun. Ich kann mir vorstellen, daß solche Fälle jetzt operiert werden. Die arme Seele muß im Körper eines Mannes leben. Sie besorgte sich eine Arbeit als Toilettenfrau in einer Fabrik, aber man hat sich über sie lustig gemacht, so daß sie nicht bleiben konnte. Sie glaubt, sie sei lange dort gewesen, aber das stimmt nicht. Ihre Selbstachtung veranlaßt sie, das zu sagen. Die Wahrheit ist, daß man ihr mitteilte, keine Stelle frei zu haben, und seitdem lebt sie von der Fürsorgeunterstützung. Ich bin mit ihr in Kontakt geblieben, und die Sozialarbeiter suchen sie ab und zu auf, aber das ist kaum nötig; sie ist eine gefestigte Persönlichkeit, seit sie sich entschlossen hat, eine Frau zu sein, und sie ist unglaublich gesund. Sie ist über siebzig, weißt du, und hat einen klaren Verstand.»
«Sollte sie nicht in einem Altersheim sein?»
«Nein, die Spaßvögel würden sich über sie lustig machen. Alte Leute sind manchmal wie Kinder. Wir lassen sie so lange wie möglich hier.»
«Und Sie besuchen sie regelmäßig?» fragte de Gier mit immer noch unnatürlich hoher Stimme.
«Selbstverständlich. Ich mag sie. Ich gehe gern in diesem Teil der Stadt spazieren, und sie macht einen guten Kaffee.»
«Aber er, sie ist verrückt!»
«Unsinn»,
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