Amsterdam-Cops 04 - Tod eines Strassenhaendlers
Besserungsanstalt wandern, und wenn er herauskommt, ist er noch schlimmer. Ich hab ihn abgeschrieben. Die Sozialarbeiter ebenfalls. Der Junge ist nicht einmal daran interessiert, dem Fernsehen oder einem Fußballspiel zuzuschauen.»
«Brigadier de Gier auch nicht», sagte der Commissaris aufgekratzt, «also besteht noch Hoffnung.»
«De Gier hat einen Kater, für den er sorgen muß, und er liest. Er hat etwas zu tun. Blumenkästen auf dem Balkon und das Flötenspiel und mindestens einmal in der Woche Judo und Museumsbesuche am Sonntag. Und wenn eine Frau hinter ihm her ist, gibt er nach. Jedenfalls manchmal.»
«Ja», kicherte der Commissaris. «In diesem Augenblick gibt er nach.»
Grijpstra überlegte.
«Esther Rogge? Nellie wollte ihn nicht.»
«Esther Rogge.»
«Er wird es nie lernen», sagte Grijpstra mürrisch, «blöder Narr, der er ist. Die Frau ist in den Fall verwickelt.»
«Sie ist eine reizende Frau. Sogar eine gebildete Frau. Sie wird ihm guttun.»
«Dann macht es Ihnen nichts aus, Mijnheer?» Grijpstra klang erleichtert.
«Ich will den Mörder finden», sagte der Commissaris, «und zwar schnell, ehe er die Kugel gegen jemand anders schwingt. Der Mann kann geistig nicht ganz normal sein, und er ist gewiß einfallsreich. Wir haben noch immer nicht festgestellt, was für eine Waffe er benutzt hat.»
Grijpstra seufzte und drückte sich etwas tiefer in die weichen Wagenpolster. «Möglicherweise ist der Fall dennoch ganz einfach, Mijnheer. Der Mann war Straßenhändler. Die verdienen gewöhnlich mehr Geld als die Steuer weiß, und sie verstecken den Differenzbetrag in Büchsen unter dem Bett oder an einer verborgenen Stelle hinter der Vertäfelung oder irgendwo unter den Fußbodenbrettern. Einer meiner Informanten sagte, daß man seinem alten Freund über hunderttausend Gulden gestohlen hat, einem Mann, der auf der Straße Käse verkauft. Der Käsemann hat den Diebstahl nie gemeldet, weil er soviel Geld eigentlich nicht haben durfte. Wenn der Finanzbeamte davon erfahren hätte, würde er dem armen Kerl mindestens die Hälfte davon abgeknöpft haben, deshalb hat der arme Tölpel den Mund gehalten und sich allein ausgeweint. Aber Abe Rogge wollte sein Versteck vielleicht verteidigen und wurde umgebracht.»
«Mit einer Stachelkugel, die man ihm ins Gesicht geschleudert hat?»
«Ja», sagte Grijpstra, «warum auch nicht? Vielleicht ist der Mörder ein Mann, der geschickt mit den Händen ist. Ein Zimmermann, ein Klempner. Vielleicht hat er die Waffe selbst gemacht, sie sich ausgedacht.»
«Aber er hat Abes Brieftasche nicht genommen», sagte der Commissaris. «In der Brieftasche war viel Geld. Wenn er wegen Geld gekommen ist, hätte er nicht ein paar tausend Gulden in der Tasche seines Opfers zurückgelassen. Er brauchte nur die Hand danach auszustrecken. Ein einfallsreicher Mann, sagte ich. Louis Zilver ist einfallsreich. Erinnerst du dich an die Figur, die er aus Perlen und Draht zu gestalten versuchte?»
«Er hat sie in den Mülleimer geworfen», sagte Grijpstra, «er hatte sie verpfuscht. Aber die Idee war einfallsreich, das stimmt.»
Grijpstra schaute zum Wagenfenster hinaus. Sie befanden sich jetzt im südlichen Teil von Amsterdam, wo gigantische Beton- und Stahlkonstruktionen den Blick zum Himmel versperrten, wie enorme Ziegel, übersät mit kleinen Löchern.
Und sie sind voller Menschen, dachte Grijpstra. Kleine Menschen. Kleine unschuldige Leute, die ihr Sonntagsessen vorbereiten, herumtrödeln, die Zeitung lesen, mit ihren Kindern und Tieren spielen und Pläne für den Rest des Tages machen. Er sah auf seine Uhr. Oder spät frühstücken. Sonntag morgen, die beste Zeit der Woche.
Der Wagen hielt vor einer Ampel, und er ertappte sich, wie er auf einen Balkon starrte, der von einer ganzen Familie bevölkert wurde. Vater, Mutter, zwei kleine Kinder. Auch ein Hund war auf dem Balkon. Eins der Kinder ließ den Hund auf den Hinterbeinen stehen, indem es mit einem Keks unmittelbar über seinem Kopf wedelte. Der kleine Hosenmatz und der Hund gaben ein hübsches Bild ab. Die Geranien in den Blumenkästen am Balkongeländer standen in voller Blüte.
Und wir jagen einen Mörder, dachte Grijpstra.
«Louis Zilver», sagte der Commissaris, «vielleicht kein sehr gut angepaßter junger Mann. Ich habe ihn gestern abend überprüfen lassen. Er hat eine Verurteilung wegen Widerstandes bei der Festnahme, als man ihn schnappte, weil er betrunken auf der Straße Krawall gemacht hatte. Das war vor einigen
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