Amsterdam-Cops 04 - Tod eines Strassenhaendlers
ausgemacht. Ein großes braunes Scheusal, das ins Wasser gesprungen ist, als ich fast daraufgetreten bin. Ich hatte keine richtige Angst, aber Blut schafft mich immer. Ich weiß nicht warum.»
«Sie werden darüber hinwegkommen», sagte Zilver und lächelte ein Mädchen an, das an ihnen vorbei zur Toilette ging. «Ich fürchte mich vor Dingen, die ich nicht erklären kann. Ich träume davon, kann mich aber nicht daran erinnern, wenn ich aufwache. Ich glaube, ich gehe wieder hinein und mache ein paar Mädchen an.»
«Schalten Sie das Fernsehgerät aus», sagte de Gier. «Da läuft irgendein Horrorfilm. Ich würde es selbst ausmachen, aber ich möchte nicht unhöflich sein. Sie kennen Onkel Bert besser als ich.»
«Mach ich. Ich werde auch die Schallplatte wechseln. Wir brauchen Rockmusik, wenn wir an die Mädchen rankommen wollen. Es sind eben ein paar hübsche Mädchen eingetroffen. Soll ich Sie mit ihnen bekannt machen?»
«Nein, danke. Ich bin dienstlich hier.»
«Viel Glück. Haben Sie schon eine Idee?»
«Viele Ideen», sagte de Gier, «aber ich brauche mehr als Ideen.»
Zilver lächelte und machte die Tür hinter sich zu.
Das Mädchen war aus der Toilette gekommen, die de Gier danach betrat. Er schloß die Tür mit übertriebener Vorsicht ab. Er wusch sich sorgsam die Hände und kämmte das Haar. Er richtete den Seidenschal, der in der Farbe genau zum Hemd paßte. Er setzte sich auf die Toilettenbrille und nahm die Pistole aus dem Schulterhalfter. Er zog das Magazin heraus und prüfte die Patronen. Sechs. Er steckte das Magazin wieder hinein, lud durch und prüfte den Verschluß. Er sah die glänzende Patrone im stählernen Lauf. Er zog den Verschluß zurück und ließ die Patrone rausspringen. Warum tue ich das? überlegte er. Sonst tue ich das nie. Er steckte die Patrone in das Magazin, das Magazin in die Pistole und diese zurück ins Halfter; er wusch sich das Gesicht, setzte sich wieder und steckte eine Zigarette an. Zwei Leichen in zwei Tagen. Drei, wenn er den Anwalt mitzählte. Aber der Anwalt war einfach so gestorben. Die anderen waren ihres Lebens beraubt worden. Raub ist ein Verbrechen. Diebstahl des höchsten Gutes. Das höchste Gut ist das Leben. Und er war hier, in einem Haus voller Leute, die mit ihren großen, ungeschickten Füßen zum Beat aufgeputschter, langhaariger junger Leute den Boden stampften und mit ihren elektronischen Klangboxen und verstärkten Trommeln an der Atmosphäre zerrten. Der Mörder könnte in dem Zimmer sein, ebenfalls den Boden stampfen, starken Genever trinken, an einer dicken Zigarre ziehen, die rote Hand auf dem eifrig zitternden Hintern einer Frau. Oder befand er sich irgendwo in der Stadt und grinste vor sich hin? Oder war es eine sie? Er hatte die beiden Frauen nicht gesehen, die Grijpstra und der Commissaris vernommen hatten. Er hatte Grijpstra nach ihnen gefragt, aber nur den Kern der Gespräche erfahren und eine Beschreibung der Frauen bekommen. Er hatte das Gefühl, daß Grijpstra einem anderen Gedankengang folgte und nichts erreichte, denn er sagte noch weniger als sonst. De Gier überließ sich wieder seinem eigenen Gedankengang. Eine Kugel an einem Band. Und woran war das Band befestigt? Wie konnte die Kugel ihr Ziel mit so tödlicher Präzision gefunden haben?
Und der Commissaris? Wußte er mehr? Der Fall war erst einige Tage alt. Keine Notwendigkeit zur Eile. Arbeite nach den Vorschriften. Verfolge jede Möglichkeit so weit sie reicht. Geh zurück, wenn es keine Ergebnisse gibt.
Jemand klopfte an die Tür.
«Einen Augenblick», rief de Gier und öffnete die Tür.
Es war die Dame in mittleren Jahren, die zuvor mit ihm gesprochen hatte.
«Geht’s Ihnen nicht gut?» fragte die Frau und berührte seine Schulter. Ihre Wimpern klappten auf und senkten sich langsam. «Ich habe Sie drinnen vermißt.»
«Mir geht’s ausgezeichnet», sagte de Gier schnell. «Gehen Sie nur, meine Liebe. Die Toilette gehört ganz Ihnen.» Er ging zurück ins Zimmer.
Zilver unterhielt sich mit Grijpstra. Grijpstras Gesicht war gerötet, er hatte ein volles Glas Bier in der Hand.
«Rinus», brüllte Grijpstra, «wie geht’s dir, mein Junge? Eine lustige Party ist das. Iß ein paar Nüsse. Leckere Nüsse.»
Zilver ging fort.
«Ich geh bald», sagte de Gier. «Bleibst du noch lange?»
«Ja. Ich habe heute abend sonst nichts zu tun, und dies hier ist nicht schlecht, um seine Zeit zu verbringen.»
«Du wirst betrunken.»
«Ja.» Grijpstra nickte feierlich.
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