Amsterdam
unangemessen erscheine. Man sage schlicht und einfach Mrs. Garmony.
[147] Vernon, dem nach dem Streit immer noch das Herz pochte, zog sich hinter seinen Schreibtisch zurück, um die Sendung anzuschauen. Währenddessen stahl sich Jean auf Zehenspitzen davon und schloß leise die Tür. Jetzt waren wir in Wiltshire und blickten von einer Anhöhe auf einen kleinen, von Bäumen gesäumten Bach hinab, der sich zwischen kahlen, sanft gewellten Hügeln hindurchschlängelte. An die Bäume geschmiegt sah man einen behaglichen Bauernhof, und während der Kommentator den bekannten Hintergrund der Affäre Garmony erläuterte, fuhr die Kamera langsam an ein Schaf heran, das im Garten vor dem Haus, neben dem Gesträuch direkt an der Eingangstür, sein neugeborenes Lamm säugte. Eine weitere Entscheidung der Partei hatte darin bestanden, die Garmonys und ihre beiden erwachsenen Kinder, Annabel und Ned, gleich nach Roses Operation im Krankenhaus für ein langes Wochenende auf ihren Landsitz zu schicken. Vernon sah sie jetzt als Familiengruppe. Angetan mit dicken Wollsachen und Ölzeug und begleitet von ihrem Schäferhund Milly und dem Familienkater, einem British Short Hair namens Brian, den Annabel liebevoll in den Armen wiegte, schauten sie, über ein Gatter gebeugt, zur Kamera hin. Es war ein Fototermin, aber anders, als es seine Gewohnheit war, hielt der Außenminister sich zurück, er wirkte regelrecht einfältig, wie ein Schaf, wenn nicht gar wie ein Lamm, denn im Mittelpunkt des Geschehens stand seine Frau. Vernon wußte, daß Garmony erledigt war, aber der blanken Routiniertheit dieses Auftritts konnte er seine Anerkennung nicht versagen.
Der Kommentar wurde ausgeblendet, und zu hören waren das Klicken und Surren der automatischen Fotokameras [148] und mehrere gekränkte Stimmen außer Sichtweite. Aus dem fahrigen und verwackelten Bild ging eindeutig hervor, daß ein ziemliches Gedränge herrschte. Vernon erhaschte einen Blick auf den Himmel, dann auf die Füße des Kameramannes und ein orangefarbenes Band. Der ganze Zirkus war da, hinter einem Absperrband zusammengepfercht. Endlich fand die Kamera Mrs. Garmony, und als sie sich räusperte und zu ihrer Stellungnahme ansetzte, wurde das Bild ruhiger. Sie hielt etwas in der Hand, las aber nicht ab, da sie genügend Selbstbewußtsein besaß, auch ohne Notizen zu sprechen. Sie zögerte, um sicherzustellen, daß ihr volle Aufmerksamkeit zuteil wurde, dann begann sie mit einem kurzen Abriß ihrer Ehe, angefangen bei der Zeit, als sie in Guildhall studierte und von einer Laufbahn als Konzertpianistin träumte und Julian ein verarmter, aber temperamentvoller Jurastudent war. Dies war die Zeit der harten Arbeit und der Notbehelfe: die Einzimmerwohnung in Süd-London, die Geburt Annabels, ihre eigene späte Entscheidung, Medizin zu studieren, und Julians unerschütterliche Unterstützung, der stolze Kauf ihres ersten Hauses in einer weniger beliebten Gegend Fulhams, die Geburt Neds, Julians wachsender Erfolg als Anwalt, ihr erstes Praktikum und so weiter. Ihre Stimme klang unangestrengt, ja intim, und bezog ihre Überzeugungskraft nicht so sehr aus Roses Status als Gemahlin eines Ministers als aus ihrer eigenen herausragenden beruflichen Stellung. Voller Stolz sprach sie von Julians Karriere, von der Freude, die sie an ihren Kindern gehabt hatten, und davon, daß sie Siege wie Rückschläge geteilt und Spaß, Disziplin, vor allem aber Aufrichtigkeit stets hochgeschätzt hätten.
[149] Sie hielt inne und lächelte in sich hinein. Gleich zu Beginn, sagte sie, habe Julian ihr etwas gestanden, etwas ziemlich Überraschendes, ja Schockierendes. Aber es sei nichts gewesen, das ihre Liebe nicht verwunden hätte, und mit den Jahren sei es ihr fast ans Herz gewachsen, und sie habe gelernt, es voller Respekt als untrennbaren Bestandteil der Individualität ihres Mannes anzusehen. Sie hätten einander uneingeschränktes Vertrauen geschenkt. Auch sei es kein ganz so großes Geheimnis gewesen, diese seltsame Angewohnheit Julians, denn einmal, aus einer fröhlichen Stimmung heraus, habe eine Freundin der Familie, die kürzlich verstorbene Molly Lane, Aufnahmen gemacht. Mrs. Garmony hielt einen weißen Pappumschlag in die Höhe, unterdessen drückte Annabel ihrem Vater einen Kuß auf die Wange, und Ned, der, wie man jetzt sah, ein Nasenpiercing hatte, beugte sich herüber und legte seinem Vater die Hand auf den Arm.
»O Gott«, krächzte Vernon. »Jetzt verdirbt sie mir
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